Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
hatte.
Oh, wie müde ich wurde! Wie ich mich krümmte und gähnte, einnickte und wieder aufschrak! Wie ich mich selbst zwickte und kniff, mir die Augen rieb, wie ich aufstand und mich wieder hinsetzte und Joseph anstiess, damit er mir Bescheid sagen sollte, wenn Jabes endlich zum Schluss käme. Ich war dazu verdammt, alles mit anzuhören. Schließlich gelangte er zum ›ersten vom einundsiebzigsten Mal‹. Bei diesem Punkt überkam mich eine plötzliche Erleuchtung: ich musste aufstehen und Jabes Branderham als den Sünder brandmarken, dem kein Christ zu verzeihen braucht.
»Herr«, rief ich, »die ganze Zeit habe ich ohne Unterbrechung in diesen vier Wänden gesessen und habe die vierhundertneunzig Abschnitte Ihrer Predigt ertragen und verziehen. Siebenmal siebzigmal habe ich meinen Hut genommen und war drauf und dran, fortzugehen — siebenmal siebzigmal haben Sie mich albernerweise gezwungen, wieder niederzusitzen. Das vierhunderteinundneunzigste Mal ist zuviel. Leidensgefährten, packt ihn! Zerrt ihn herunter und reisst ihn in Fetzen, dass der Ort, der ihn kennt, ihn nicht mehr erkennen kann!«
»Du bist der Mann!« schrie Jabes nach einer feierlichen Pause und beugte sich über die Brüstung. Siebenmal siebzigmal hast du dein Gesicht zum Gähnen verzerrt, siebenmal siebzigmal habe ich mit meiner Seele Rat gepflogen. Siehe, das ist menschliche Schwäche; es soll vergeben sein! Das erste vom einundsiebzigsten Mal ist gekommen. Brüder, vollstreckt an ihm das Urteil, wie es geschrieben steht! So geschehe zur Ehre aller Seiner Heiligen!« Nach diesen abschließenden Worten stürzte die ganze Gemeinde sich wie ein Mann mit erhobenen Hirtenstäben auf mich und umzingelte mich, und da ich keine Waffe zur Verteidigung hatte, rang ich mit Joseph, meinem nächsten und wildesten Angreifer, um die seine. Im Handgemenge der Massen kreuzten sich die Knüttel; nach mir gezielte Hiebe sausten auf fremde Schädel nieder, schließlich hallte die ganze Kapelle von Schlägen und Gegenschlägen wider. Jeder kämpfte gegen jeden, und Branderham, der auch nicht müssig bleiben wollte, bewies seinen Eifer durch prasselndes Getrampel auf dem Bretterboden der Kanzel, das so laut dröhnte, dass es mich zu meiner unaussprechlichen Erleichterung weckte. Und was hatte mir den fürchterlichen Lärm vorgegaukelt? Was hatte bei dem Spektakel Jabes’ Rolle gespielt? Nur der Zweig einer Föhre, der im Sturm manchmal gegen das Fenster schlug und dessen trockene Zapfen seltsam rasselten! Argwöhnisch lauschte ich einen Augenblick, entdeckte den Störenfried und drehte mich auf die andere Seite, schlummerte ein und träumte wieder, wenn möglich noch unangenehmer als vorher.
Dieses Mal war ich mir bewusst, in dem Eichenkabinett zu liegen, und vernahm deutlich den tobenden Wind und das Schneetreiben draussen. Ich hörte auch den Föhrenzweig mit seinem aufreizenden Geräusch, das ich nun der richtigen Ursache zuschrieb; aber es ärgerte mich so sehr, dass ich beschloss, es zum Schweigen zu bringen; ich glaubte aufzustehen und mich zu bemühen, den Fensterflügel loszuhaken. Der Haken war in der Krampe festgelötet, ein Umstand, den ich im Wachen bemerkt, aber wieder vergessen hatte. »Das muss trotzdem aufhören!« murmelte ich, stiess meine Faust durch die Scheibe und streckte den Arm aus, um den lästigen Zweig zu packen. Statt dessen schlossen sich meine Finger um eine kleine, eiskalte Hand! Das schreckhafte Entsetzen eines Alpdruckes überfiel mich. Ich versuchte meinen Arm freizubekommen, aber die Hand klammerte sich daran fest, und eine todtraurige Stimme schluchzte: »Lass mich hinein, lass mich hinein!« »Wer bist du?« fragte ich und versuchte mit Macht, mich zu befreien. »Catherine Linton«, antwortete es bebend. (Warum dachte ich nur an Linton? Ich hatte zwanzigmal öfter Earnshaw gelesen als Linton.) »Ich bin wieder da, ich hatte mich im Moor verirrt!« Während es sprach, nahm ich dunkel das Gesicht eines Kindes wahr, das durch das Fenster blickte. Das Entsetzen machte mich grausam: Da es zwecklos schien, das Geschöpf abzuschütteln, zog ich sein Handgelenk an das zerbrochene Glas und rieb es hin und her, bis das Blut herunterrann und die Bettücher befleckte. Und immer noch wehklagte es: »Lass mich hinein!«, hielt mich mit zähem Griff fest und machte mich fast wahnsinnig vor Angst. »Wie kann ich denn!« sagte ich endlich. »Lass mich los, wenn ich dich einlassen soll!« Die Finger lockerten sich, ich zog meinen Arm mit
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