Emma - endlich vom Glück umarmt
überrollt. Tränen drängten hinter ihren Lidern hervor. Nein, sie würde nicht vor Bertram weinen! Einmal, als sie noch Kinder waren, hatte sie sich verletzt, und er hatte sie getröstet und die Schramme geküsst. Damals hatte sie geweint. Doch heute löschte ihr Zorn die zärtlichen Erinnerungen aus. Als sie sprach, war ihre Stimme rau von den unterdrückten Tränen. „Ehrenschuld, Bertram? Du hast keine Ehre, sonst würdest du schon längst aufgehört haben zu spielen.“
Ihm schoss das Blut ins Gesicht. Emma wusste, sie war in ihrem Schmerz und ihrer Wut zu weit gegangen, aber das Perlenhalsband war alles, was sie von Mama noch besaß. Sie hatte es von ihrem Vater erbeten, um eine greifbare Erinnerung an die über alles geliebte Mutter zu haben. Nun würde er ihr befehlen, es Bertram zum Verkauf zu geben.
„Was weißt du schon von Ehre, Schwester!“
„Genug, um zu fragen, was das für eine Ehre ist, die denen, die von dir und Papa abhängig sind, beständig Opfer abfordert und Lasten aufbürdet. Bedeutet Ehre, dein Erbe am Spieltisch zu verschleudern, deine Schwester ohne Rücksicht auf ihre Wünsche zu einer Vernunftehe zu zwingen und von deinem zukünftigen Schwager zu verlangen, dass er deine Spielschulden bezahlt?“
Er richtete sich hoch auf. Nur seine glasigen Augen und sein leichtes Schwanken deuteten auf seinen Zustand hin. „Du bist ein Zankteufel und weißt gar nichts! Auf jeden Fall muss die Spielschuld beglichen werden. Und im Übrigen kümmere ich mich um dich und Amy!“
Emma schnaubte. „Indem du Amy an den Höchstbietenden verschacherst und mir das Einzige nimmst, was ich von Mama noch habe? Eine seltsame Art, sich zu kümmern!“
Bertram wankte, fing sich aber wieder. Hochmütig rümpfte er die Nase. „Leute unseres Standes heiraten ständig um des Geldes willen. Es ist Amys Pflicht. Sie wird so viel glücklicher sein. Hättest du auch sein können.“ Er warf sich belehrend in die Brust, doch die Pose misslang ihm, weil seine Beine leicht nachgaben. „Du hast uns nämlich in diese Lage gebracht, weil du so egoistisch warst, Lord Hawthorne nicht heiraten zu wollen; deshalb muss ich mich nun der Sache annehmen.“
Sprachlos starrte sie ihn an. Er musste betrunkener sein, als sie gedacht hatte. Worauf wollte er hinaus? „Meinetwegen sind wir in dieser Lage?“
„Ja, weil du Lord Hawthorne abgewiesen hast, musste Amy, die noch viel zu jung ist, überhaupt erst einspringen. Und dann hast du nicht einmal verhindert, dass sie sich mit Charles Hawthorne ins Gerede brachte.“
In Emmas Kopf drehte es sich. Irgendwie brachte Bertram die Dinge durcheinander, auch wenn einzeln gesehen stimmte, was er sagte. Nur eines nicht …
„Sie hat sich nicht ins Gerede gebracht.“
„Aber so gut wie! Sie flirtet schamlos mit ihm, und du hast zugelassen, dass er euch beide mit Harriette Wilson bekannt macht. Sie ist eine Dirne. Aber das regele ich. Anschließend wird niemand mehr reden, und Amy kann in den höchsten Adel einheiraten.“
Langsam fragte Emma sich, ob Bertram völlig in Selbsttäuschung befangen war. Alkohol hatte häufig diese Wirkung auf ihn. Argwöhnisch fragte sie: „Was hast du angestellt?“
Er richtete sich hoch auf und straffte die Schultern. „Ich habe Charles Hawthorne gefordert. Das wird die Sache regeln.“
Sein hochtrabender Auftritt half nicht gegen die Angst, die Emma beschlich. Scharf fragte sie: „Du hast ihn gefordert? Du kannst weder gut fechten noch schießen. Wird das ein Duell oder Selbstmord?“
Einen Augenblick wirkte er unsicher, fasste sich aber gleich wieder. „Ich kämpfe um Amys Ehre. Wenn ich siege – und das werde ich, da ich im Recht bin –, steht ihr Name fleckenlos da.“
Emma starrte ihn mit großen Augen an und fragte sich, wie betrunken er gewesen war, als er diese verrückte Forderung ausgesprochen hatte. „Wann hast du das zustande gebracht? Heute Nacht?“
„Nein, schon vor ein paar Tagen, bei White’s.“ Er grinste töricht. „George Hawthorne war auch dabei.“
Bisher hatte sie die Tränen zurückhalten können, doch sie fürchtete, es nicht mehr lange zu schaffen. Was für eine schreckliche Sache! Sie musste etwas unternehmen.
„Bertram, du musst unbedingt zurücktreten!“
Er riss verblüfft die Augen auf. „Unmöglich, selbst wenn ich wollte.“
Entsetzt dachte Emma, dass er getötet werden würde, und das wollte sie wirklich nicht, so unglaublich wütend sie auch auf ihn war. Immerhin war er ihr Bruder, und sie
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