Emma - endlich vom Glück umarmt
sie hielt, ins Haus, wo in der Diele eine einsame Kerze brannte.
Nachdem sie David gedankt und ihn für heute beurlaubt hatte, legte sie seufzend Hut und Umhang ab. Sie fragte sich, was sie nun tun solle. Das Wohlergehen ihrer Familie stand auf dem Spiel, und alles hing allein von ihr ab. Charles Hawthorne hatte offensichtlich nicht vor, ihr zu Gefallen sein Verhalten zu ändern. Andererseits hatte er vorhin mehr Scharfblick gezeigt, als ihr lieb war. Ihm war aufgefallen, dass sie ihre Perlen nicht trug.
Sie unterdrückte ein Schluchzen. Charles Hawthorne war offensichtlich nicht so völlig auf sich selbst konzentriert, wie sie gedacht hatte … Ihr Gedankengang wurde durch das Schnappen eines Türknaufs unterbrochen.
Bertram kam in die Diele geschlendert. „Wo warst du so spät noch ohne Begleitung?“
Unangenehm berührt entgegnete sie: „Das muss dich nichts angehen, Bertram.“ Als er näher trat, roch sie Alkohol. „Bist du schon wieder angeheitert?“
Sie wusste, er würde lügen, da er verlegen den Blick abwandte. „Ich habe einen Schluck Portwein getrunken, doch von einem Rausch bin ich weit entfernt.“
Himmel, wie aufgeblasen er selbst in seiner Verletzlichkeit noch sein konnte! Er hatte in den letzten Tagen mehr als üblich getrunken, sodass Emma sich fragte, ob er wohl das Duell fürchtete. „Stimmt etwas nicht, Bertram?“
Verdrossen murrte er: „Alles wäre in Ordnung, wenn du nur Amy zügeln könntest oder wenigstens George Hawthorne nicht den Laufpass gegeben hättest. Da du sein Wort hattest, hätte er dich geheiratet und dann eben die andere Frau zu seiner Mätresse gemacht.“
Entsetzt keuchte Emma: „Bertram!“
„Aber es stimmt doch“, sagte er schmollend.
Mühsam kämpfte sie ihre Wut nieder; sie konnte sich kaum enthalten, ihm unverblümt entgegenzuschreien, weshalb sie überhaupt in dieser Lage waren. Was er sagte, stimmte zwar, nur vergaß er zu erwähnen, welche Rolle er und Papa in diesem Stück spielten. Schließlich äußerte sie nur: „Ich gehe zu Bett. Das solltest du auch.“
„Nein, ich gehe noch aus.“
Also wird er noch mehr verlieren, dachte sie, während sie sich anschickte, die Treppe hinaufzusteigen.
Am folgenden Morgen erwachte Emma nur wenig erfrischt, doch wenigstens drang ihr der köstliche Duft heißer Schokolade in die Nase. „Danke, Betty“, seufzte sie, „du weißt doch immer, was ich gerade brauche.“ Sie lächelte der silberhaarigen Frau zu, die schon ihr Kindermädchen gewesen und später zur Haushälterin aufgestiegen war. Nun erfüllte sie mangels anderer Bedienter auch noch die Pflichten einer Kammerfrau für die beiden Schwestern.
„Hier, Miss, trinken Sie, das wird Sie munter machen.“
Emma setzte sich auf, nahm die Tasse entgegen und trank in großen Schlucken, während Betty ziellos im Zimmer herumwirtschaftete, wie es ihre Art war, wenn ihr etwas auf der Seele lag.
„Komm, Betty, heraus mit der Sprache, was ist los?“
„Nun, Miss, Master Bertram ist schon auf. Er will Sie sofort sprechen.“
Ah, also war er immer noch verärgert, weil er am vergangenen Abend nicht erfahren hatte, wo sie gewesen war. Nun würde er keine Ruhe lassen, bis sie es ihm sagte. Sie stellte die geleerte Tasse zur Seite und stieg aus dem Bett. „Dann hilf mir rasch beim Ankleiden, denn ich will auf jeden Fall vorher frühstücken.“
So wenig es ihm passte, er würde länger als vorgesehen auf sie warten müssen.
Eine gute Stunde später trank Emma in dem kleinen Frühstückszimmer eben ihre letzte Tasse leer, als ihr Bruder hereinstürmte.
„Emma, wo bleibst du? Vor ewigen Zeiten schon ließ ich dir ausrichten, dass ich im Salon warte.“
Langsam setzte sie die Tasse nieder und sah Bertram an. Auch jetzt noch fand sie an ihm Spuren des stets zu Streichen aufgelegten Jünglings von einst. Die Erinnerung an ihre gemeinsame Kindheit milderte ihre Antwort. „Ich wollte zuerst frühstücken.“ Sorgsam legte sie die fadenscheinige Serviette neben ihren Teller.
Bertram drehte sich auf dem Absatz um und stakste aus dem Raum. Bewusst vermied Emma den Blick des Butlers, der seinerseits ihrem Blick betont auswich. Gordon gehörte, genau wie Betty, schon seit so vielen Jahren zum Haushalt, dass er nachgerade väterliche Gefühle für die Familienmitglieder hegte.
Emma folgte ihrem Bruder in den Salon und ließ sich abwartend in der Nähe des Kamins nieder, an dem Bertram sich schon in malerischer Haltung, einen Fuß auf den Rost gestützt, aufgebaut
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