Emma - endlich vom Glück umarmt
sich je auf ein solches Leben einlassen würde.
Er trieb sein Tier an, denn er wollte Lady Johnstones Landsitz so rechtzeitig erreichen, dass er sich vor der Teestunde noch umkleiden konnte. Wie Emma Stockton wohl dreinschauen würde, wenn er in den Salon schlenderte?
Es würde eine äußerst amüsante Gesellschaft werden.
Emma befestigte eine letzte Haarsträhne und betrachtete sich dann kritisch im Spiegel. Ihr Hals kam ihr nackt vor, seit sie das Perlenhalsband ihrer Mutter nicht mehr trug. Da sie sonst keinen Schmuck besaß, drapierte sie einen hübsch gemusterten Seidenschal um ihre Schultern und ging dann nach unten. Sie nickte dem Lakaien, der sie in den Teesalon führte, freundlich zu, ehe sie sich unauffällig im Raum umschaute. Ihre Gastgeberin schenkte eben Lady Glenfinning Tee ein; nicht weit von den Damen saß ein junger blonder Mann mit mäßig hohen Kragenspitzen und schlicht gebundenem Krawattentuch.
An den hohen Terrassentüren stand Amy und sprach mit Charles Hawthorne. Emma verhielt ihren Schritt und atmete mehrmals tief ein, bis sich ihr unversehens heftig klopfendes Herz beruhigte. Das, wie sie sich sagte, natürlich nur vor Ärger so rasend pochte, weil Amy den Mann anstrahlte, als sei er der einzige auf der Welt. Ohne nachzudenken, steuerte Emma auf die beiden zu, doch als spüre er ihre Absicht, schaute Charles Hawthorne sich um. Ihre Blicke trafen sich. Warum nur, fragte Emma sich, gelingt es ihm ständig, mich zu verwirren? Er muss nicht einmal mit mir sprechen, um mich aus der Fassung zu bringen. Hastig änderte sie ihren Kurs und steuerte auf den leeren Platz neben Lady Juliet Glenfinning zu. Wenn Amy sich diesem Mann an den Hals werfen wollte, sollte sie. Hauptsache, sie verhielt sich nicht zu skandalös.
„Komm, setz dich.“ Juliet klopfte mit der flachen Hand auf das Polster neben sich. Dann stellte sie Emma vor, die sich vor ihrer Gastgeberin lächelnd verneigte. „Ich danke für die Einladung, Mylady.“
Lady Johnstone hob eine Lorgnette an die Augen und musterte Emma unverblümt. „Sie also sind Ms. Stockton. Ich wollte Sie schon längst kennenlernen.“ Sie griff zur Teekanne, füllte eine Tasse und reichte sie Emma. „Ich war wirklich beeindruckt, als Sie die Verlobung mit meinem Patensohn lösten. So lieb er mir ist, muss ich doch sagen, er führte sich empörend auf. Er kann sich glücklich schätzen, dass Sie so großherzig waren, ihn freizugeben. Nur wenige Frauen in ihrer besonderen Situation hätten das getan.“
Emma hatte das Gefühl, sie wäre der Wirklichkeit entrückt. Erst wurde sie wie ein seltener Käfer in Augenschein genommen, dann folgten diese unverhohlenen Worte. Sie verschluckte sich, begann zu husten und setzte rasch die Tasse nieder, bis sie zu Atem gekommen war. „Verzeihen Sie, Madam, ich …“
„Sie waren über meine Direktheit entsetzt“, ergänzte Lady Johnstone. „Aber ich pflege kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Und genauso rundheraus sage ich auch, dass es mich amüsiert, wie Ihre Schwester mit Charles flirtet, als hinge ihr Leben davon ab. Sie sollte ihre Künste besser an dem jungen Gentleman üben.“ Sie schaute zu dem blonden Mann hinüber. „Er passt im Alter zu ihr und besitzt das nötige Vermögen.“
Die Offenheit ihrer Gastgeberin verblüffte Emma derart, dass sie froh war, ihre Tasse noch nicht wieder aufgenommen zuhaben, anderenfalls wäre der Inhalt möglicher weise auf ihrem Kleid gelandet.
„Ja“, fuhr Lady Johnstone mit Genugtuung fort, „ich sage immer, was ich denke. Zu meiner Zeit redete man nicht drum herum, wenn einer ein Frauenheld oder ein lockerer Vogel war. Charles ist übrigens Ersteres immer noch, Letzteres war er mal. Hat sich erfreulicherweise gebessert.“
Der Themenwechsel ließ Emma aufhorchen. Zu gern hätte sie die alte Dame gefragt, was sie meinte, hielt es aber für unangemessen.
Lady Johnstone behielt Emma scharf im Auge. „Wovon ich rede, fragen Sie sich?“
„Was Sie mit Frauenheld meinen, weiß ich wahrscheinlich.“
„Und glauben, von dem lockeren Vogel zu wissen. Aber jede Wette, Sie wissen es nicht.“
Der unfeine Bezug auf Glücksspiele ließ Emma erröten.
„Gefällt Ihnen nicht, das Wort, wie? Na, noch vor ein paar Jahren spielte Charles genauso ruinös wie Ihr Bruder, vielleicht noch schlimmer.“
„Einen schlimmeren Spieler als Bertram kann ich mir nicht vorstellen“, spottete Emma und lächelte boshaft.
„Ha, Sie haben ja doch Mumm! Hatte ich fast nicht erwartet.
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