Emma will’s wissen
brauchte, hing sie natürlich mit Simone herum. Und sie hatte mir nicht mal etwas davon gesagt. Warum hatten eigentlich plötzlich alle Geheimnisse vor mir? Dabei hatte ich Lea eigentlich fragen wollen, ob ich bei ihr einziehen konn-te, wenn das Baby kam. Vielleicht war das sowieso die beste Lösung. Dann konnten sich Mona und das Baby auf dem Dachboden breitmachen. Und Mama würde mich bestimmt nicht vermissen. Wenn das Baby erst mal da war, hatte sie sowieso keine Zeit mehr für mich. Wahrscheinlich war es ihr ganz recht, wenn ich mich aus dem Staub machte. Aber wenn Lea mich nun nicht haben wollte? Wo sollte ich dann hin?
Ich war kurz davor, loszuheulen, weil ich mir so schrecklich leidtat. Da merkte ich, dass ich in der Straße von Herrn Marten gelandet war. Links und rechts von mir standen lauter Reihenhäuser. Im Regen sahen sie grau und traurig aus. Vor Herrn Martens Haus blieb ich stehen. Alle Rollläden waren heruntergelassen. Mitten am Nachmittag! Das fand ich ziemlich merkwürdig. Ob Herr Marten verreist war? Aber das hätte er mir gestern doch bestimmt erzählt.
Ich ging die Treppe hinauf und klingelte. Nichts passierte. Ich klingelte ein zweites Mal. Immer noch nichts. Langsam wurde ich kribbelig. Ich war mir plötzlich ganz sicher, dass Herr Marten nicht verreist war. Und wenn ihm etwas passiert war? Vielleicht war er die Treppe hinuntergefallen und lag mit einem gebrochenen Fuß im Flur. Oder er war ohnmächtig geworden. Oder … Aber an die letzte Möglichkeit wollte ich nicht denken. Ich klingelte Sturm. Dann hielt ich mein Ohr an die Tür und lauschte. Da hörte ich es. Ein Geräusch. Ganz leise nur. Ein Schlurfen.
»Herr Marten?«, rief ich. »Hören Sie mich? Herr Marten, machen Sie auf!«
Ich hielt den Atem an und lauschte wieder. Das Schlurfen kam näher und ich hörte eine zittrige Stimme: »Wer ist da?«
»Ich bin’s, Emma!«
Pause.
»Ich kenne keine Emma.« Herrn Martens Stimme klang jetzt nicht mehr ganz so zittrig.
Ich schloss kurz die Augen. Ich war froh, dass Herr Marten nicht tot war. Und den Fuß hatte er sich offenbar auch nicht gebrochen. Das war immerhin etwas. Aber er hatte heute keinen guten Tag, so viel stand fest. Ich musste ihn irgendwie dazu bringen, mir die Tür zu öffnen, damit ich nachsehen konnte, ob alles in Ordnung war.
Ich holte tief Luft. »Hier ist Pummelchen!«
Eine Weile blieb es still. Dann drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Tür wurde ein kleines Stück geöffnet. Herrn Martens Gesicht erschien im Türspalt. Er war unrasiert und seine Haare standen in alle Richtungen ab. »Pummelchen!«, sagte er streng. »Wo kommst du denn jetzt her?«
Ich schluckte. »Von dort.« Ich zeigte in die Richtung, aus der ich gekommen war.
»Wir haben uns schon Sorgen gemacht.« Herr Marten ließ mich herein. Mir blieb fast die Luft weg. Er trug einen Schlafanzug! Der Schlafanzug war blau-weiß gestreift, hatte einen ausgefransten Kragen und am Oberteil fehlten zwei Knöpfe. »Du sollst doch um sechs zu Hause sein.«
Es war kurz nach fünf.
»Tut mir leid«, sagte ich und versuchte, zerknirscht auszusehen. »Wird nicht wieder vorkommen.«
Herr Marten fuhr mir mit der Hand über den Kopf und zer-strubbelte meine Haare. »Du bist eben ein kleiner Wildfang. Komm mit, Mutti wartet schon mit dem Abendbrot.«
Herr Marten schlurfte in die Küche. Er hatte karierte Pantoffeln an. Auch in der Küche waren die Jalousien heruntergelassen. Die Deckenlampe brannte. Es sah ziemlich unordentlich aus, dabei hatte ich gestern erst aufgeräumt. In der Spüle stand dreckiges Geschirr und auf dem Küchentisch ein Teller mit Eintopf. Linseneintopf, wenn mich nicht alles täuschte. Er war kalt. Eine weiße Fettschicht hatte sich an der Oberfläche gebildet. Das sah ziemlich eklig aus.
»Warum haben Sie Ihren Eintopf nicht aufgegessen?«, fragte ich.
»Weil er nicht geschmeckt hat. Viel zu viel Speck.« Herr Marten verzog das Gesicht. Dann lächelte er plötzlich. »Möchtest du einen Kakao, Emma?«
Ich atmete auf. »Sie wissen, dass ich Emma heiße?«
»Natürlich weiß ich das.« Herr Marten klang etwas ungehalten. »Wie solltest du denn sonst heißen? Möchtest du jetzt einen Kakao oder nicht?«
»Nein, danke.« Ich zeigte zum Fenster. »Soll ich mal die Jalousien hochziehen?«
»Auf keinen Fall!« Herr Marten schüttelte heftig den Kopf. »Sie dürfen nicht hereinkommen!«
Ich runzelte die Stirn. »Wer darf nicht hereinkommen?«
»Die Diebe natürlich! Sie schleichen
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