Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Weise dafür sorgte, dass jemand auf mich aufpasste, damit ich keine Dummheiten machte –, Sophie also fand Emmas Geständnis sehr mutig.
»Du wirst eine Weile brauchen, bis der Schmerz nachgelassen hat. Dann solltest du den Brief noch mal lesen.«
»Ich will mit dieser Frau nichts mehr zu tun haben«, sagte ich.
»Musst du auch nicht. Aber an deiner Stelle würde ich ihn mir in Ruhe ein zweites Mal ansehen. Das hilft.«
»Wobei? Dann reiß ich doch nur wieder die Wunden auf.«
»Es hilft beim Heilen. Glaub mir.«
»Sagt die Frau, die nie länger als zwei Monate einen Mann in ihrem Leben erträgt.«
Sophie seufzte. »Vielleicht weiß ich mehr über Herzschmerz als du.«
Ich konnte ihr nicht glauben, nicht in dem Zustand, in dem ich war. Ich hasste Brian und Emma und die ganze Welt. Mich hasste ich auch dafür, so naiv und blind gewesen zu sein. Die Stunden, die er am Computer verbracht hatte – war es gewesen, um mit Emma zu chatten? Natürlich hatte ich ihm nicht geglaubt, dass er an seinen Bewerbungsunterlagen arbeitete, ich hatte gedacht, er würde einfach nur herumsurfen, spielen … Ja, ich hätte es sehen können. Vielleicht wollte ich es nicht, weil es einfacher war, die Augen zu schließen und darauf zu hoffen, dass alles irgendwann wieder anders wurde. Warum hatte ich nichts getan? Hatte ich selbst irgendwann das Interesse verloren?
»Ich muss hier weg«, sagte ich zu Sophie. »Am liebsten gestern.«
Sie nickte nur.
Wir fanden im Internet eine günstige Unterkunft bei Privatleuten, die das Zimmer ihres Sohnes in New York untervermieteten, seit dieser studierte. Für den Anfang würde es reichen, vor Ort konnte ich mir dann etwas anderes organisieren. Anschließend suchte ich mir einen Flug heraus. In drei Tagen konnte ich abreisen, es kam mir viel zu lang und gleichzeitig wahnsinnig kurz vor. Ich fühlte mich bereits, als würde ich auf gepackten Koffern sitzen, bereit, jede Sekunde von der Insel zu verschwinden. Ich würde drei Monate fort sein, länger konnte man ohne ein extra Visum nicht in den USA bleiben, und kürzer wollte ich vorerst nicht. Wenn ich eine Story finden und schreiben wollte, die ich an ein großes Magazin verkaufte, um wieder in den Journalismus einzusteigen, dann würde ich diese Zeit brauchen.
Doch auf der anderen Seite wurde mir das Herz schwer bei dem Gedanken, Kinsale verlassen zu müssen. Und eine gehörige Portion Angst vor dem, was vor mir lag, war natürlich auch dabei. Ich fühlte mich wie am Anfang von etwas Neuem. Keine Rücksicht mehr nehmen auf die Befindlichkeiten und Lebenspläne anderer. Endlich ic h sein. Mein Leben leben. Ich war selbst darauf gespannt.
Sophie sprach davon, eine kleine Abschiedsparty auszurichten, unten im Pub. Ich willigte ein, auch wenn ich zusammenzuckte, als sie das Datum nannte, denn übermorgen, ein Tag vor meiner Abreise, war Matts Geburtstag. Ich war schwach geworden und hatte auf Facebook nachgesehen. Und mir das Datum gemerkt oder vielmehr: nicht vergessen können. Zwei Monate war es bereits her, dass er aus Kinsale abgereist war. Etwas in mir hoffte, ihn noch einmal wiederzusehen, aber die Stimme der Vernunft sagte mir, dass er bestimmt längst wieder in den USA war.
Das Wetter war noch wunderschön, so als wollte die Insel sich von ihrer besten Seite zeigen, bevor ich ihr den Rücken kehrte. Ich hatte überlegt, durch die kleine Stadt zu gehen und mich von allen, die ich hier wiedergetroffen, kennengelernt und lieb gewonnen hatte, zu verabschieden. Aber dann dachte ich: Sie kommen ja zu meiner Abschiedsparty.
Das Einzige, wovon ich mich also verabschieden müsste, war die Landschaft. Die sanften Hügel, die Steilküste, das Meer. Und das besondere Licht an der Küste. All das würde ich vermissen, wenn ich weg war. Wieder musste ich mich daran erinnern, dass ich nur für kurze Zeit wegging, aber irgendwie fühlte sich alles nach sehr viel mehr an. Nach einem Zurücklassen. Nach einem Nimmerwiedersehen. Ich war schon ein gutes Stück von Kinsale entfernt, sah es nur noch als kleinen, bunten Flecken, die Jachten auf dem Wasser wie weiße Seevögel, als ich mein Gefühl besser verstand: Ja, es war ein Abschied für immer.
Ich ließ Brian hinter mir.
Am frühen Abend kam ich zurück zum Pub, gerade rechtzeitig, um meine Schicht zu übernehmen – ein letztes Mal, wie ich versicherte, damit sie mich überhaupt hinter die Theke ließen. Es war ein so unwirkliches Gefühl, dort zu stehen, Bier zu zapfen, Gläser zu waschen,
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