Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Geld zu kassieren, mit den Gästen zu scherzen. Ich war gar nicht anwesend, ich funktionierte nur, während ich gleichzeitig weit weg im äußersten Winkel des Pubs stand und mich von dort aus beobachtete.
In der Nacht schlief ich fast gar nicht. Irgendwann gab ich es auf, mich von einer Seite auf die andere zu wälzen, stand auf und packte meinen Koffer. Ich würde später, nach meinem Abschied, nur eine kurze Nacht haben und sehr früh von Cork aus nach London fliegen müssen. Besser also, schon vorbereitet zu sein. Um fünf Uhr morgens war ich schließlich reisefertig, vierundzwanzig Stunden zu früh.
Die verstreuten Seiten von Emmas Brief hatte ich zusammengesammelt und auf den kleinen Schreibtisch geworfen. Ich musste daran denken, was Sophie zu mir gesagt hatte. Dass ich den Brief noch mal lesen sollte. Dass er helfen könnte zu heilen. Es gab noch ein paar Seiten, die ich nicht gelesen hatte. Was würden sie enthalten? Rechtfertigungen? Die Bitte um Verständnis? Konnte ich ertragen, was sie mir schrieb?
Ich steckte Emmas Brief ein und schlich mich die Treppe hinunter und aus dem Haus. Wenn ich schon nicht schlafen konnte, dann wollte ich wenigstens den Sonnenaufgang genießen, auch wenn bis dahin noch ein wenig Zeit vergehen würde. Dem Himmel dabei zuzusehen, wie aus Schwarz Blau wurde, liebte ich sehr. Und die Zeit würde mir nicht lang, denn ich hatte mehr als genug, über das ich nachdenken musste.
Tief atmete ich die klare Morgenluft ein, als ich aus der Haustür trat, und freute mich über die Stille. Ich überquerte die Straße und ging zum Parkplatz, wo ich mich auf das Mäuerchen setzte, um aufs Wasser zu schauen. Hier, dachte ich, hat so einiges begonnen und seinen Lauf genommen, das so schön hätte werden können … Ich unterbrach mich selbst in Gedanken: Hätte werden können? Es war schön! Es war, das konnte ich mir endlich eingestehen, eine wundervolle, viel zu kurze Zeit mit Matt gewesen. Und sie war wichtig gewesen, um den tiefen Fall abzumildern, den ich danach dank Emma erfahren musste. Zu wissen, dass ich mich nach Brians Tod wieder verlieben konnte, hatte mir vielleicht das Leben gerettet. Ja, es ging weiter! Ohne Brian. Und auch ohne Matt. Aber es ging weiter.
Ich sah auf die dunkle, leicht gekräuselte Wasseroberfläche. Die Vögel erwachten, während sich im Osten am Horizont ein dunkelblauer Streifen bildete. Ich hatte mir eine Strickjacke übergezogen, aber ich fröstelte und schlang die Arme fest um meinen Körper. Ich wollte noch nicht reingehen, weil ich den Sonnenaufgang nicht verpassen wollte und auch, weil ich immer noch nicht richtig müde war.
Brian, dachte ich, warum hast du nicht mit mir geredet? Warum habe ich nicht gemerkt, dass mit unserer Beziehung schon lange etwas nicht mehr stimmte? Was für ein Klischee: der arbeitslose Mann, der sich seine Bestätigung woanders suchen muss, weil er es nicht aushält, dass seine Frau das Geld verdient. War das der Brian, den ich kennengelernt hatte? Vielleicht hatte ich nur nicht sehen wollen, dass er so war.
Die ersten Sonnenstrahlen krochen über den Horizont. Ich dachte an Emmas Brief. Sophie hatte vielleicht wirklich recht: War ich denn nicht froh, erfahren zu haben, dass Brian mich trotz allem geliebt hatte und kein Kind mit einer anderen Frau hatte haben wollen? Doch im gleichen Moment dachte ich: Wie kann ich so denken? Sollte ich mich darüber freuen, dass er eine Frau, die ein Kind von ihm erwartete, im Stich lassen wollte? Hätte ich es gutgeheißen, wenn er nicht zu seinem Kind gestanden hätte?
Aber vielleicht wäre alles anders gekommen. Vielleicht hätte er seine Ängste überwunden und wäre dem Kind ein guter Vater gewesen. Vielleicht hätte er mich doch verlassen …
Ich holte tief Luft, zog Emmas Brief aus der Tasche meiner Strickjacke und suchte die noch ungelesenen Seiten heraus.
Es ist eine Schuld, mit der ich nur schwer leben kann. Gäbe es Kaelynn nicht, die mich so dringend braucht …
Ich erfuhr von Brians Tod aus der Zeitung. Als er sich nicht mehr meldete, dachte ich natürlich, er wollte mich nie mehr wiedersehen. Es war ein Schock, als ich seine Todesanzeige sah, und ich brach zusammen. Eine Kollegin aus dem Supermarkt, mit der ich mich über die Wochen und Monate etwas angefreundet hatte und die von meinem Verhältnis mit einem verheirateten Mann wusste, kümmerte sich um mich. Ich brauchte jemanden, mit dem ich reden konnte, und mein Vater sollte immer noch nichts von Brian wissen.
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