Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Musik gemacht. Nur er mit seiner Gitarre. Es musste sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben, denn eine halbe Stunde nachdem er angefangen hatte, war das Pub brechend voll. Matt sang diesmal nur eigene Lieder. Vor jedem neuen Stück erzählte er etwas dazu. Wann er es geschrieben hatte, wie es dazu gekommen war, worum es ging. Fast alle Songs hatten mit ihm zu tun, was er erlebt oder was ihn beschäftigt hatte. Er erzählte von einer Begegnung mit einem obdachlosen Jungen. Er sang von einer Frau, die dabei hatte zusehen müssen, wie ihr Kind in eine Straßenschlacht zwischen Demonstranten und Polizisten geraten und dabei totgequetscht worden war. Es ging um einen Mann, der verlorenen Schätzen nachjagte und darüber alles andere vergaß – seinen Vater. Ich konnte mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren, weil ich keine Silbe verpassen wollte. Gegen Ende kam ein Lied, von dem er sagte, er hätte es erst vor wenigen Tagen geschrieben und es sei das erste Mal, dass er es vortrug. Es ging darin um die Liebe, die man manchmal einfach so erkannte, ohne sie erklären zu müssen.
Als wir nach Mitternacht nun auf dem Parkplatz am Wasser saßen, erzählte ich ihm meine Geschichte. Von meinen Träumen, meinen Plänen und was daraus geworden war.
Er hörte zu, ohne mich zu unterbrechen, bis ich fertig war.
»Hast du seinen Namen bei der Hochzeit angenommen?«
Ich nickte. »Richardson.«
»Okay. Und dein Mädchenname? Riley, wie dein Onkel?«
»Ja.«
»Vielleicht solltest du dich wieder Kate Riley nennen.«
Ich sah ihn zweifelnd an. »Was hat denn das damit zu tun?«
»Nichts. Oder alles. Je nachdem. Ich kenne das aus einem anderen Zusammenhang. Es gibt Bands, die sitzen in ihrem Proberaum und jammern, dass sie keinen Erfolg haben. Dann hat einer die Idee, sich einfach umzubenennen. Und plötzlich läuft alles anders.« Er lächelte mich an. »Kate Riley, du hast Artikel für die großen Magazine geschrieben, obwohl du eine kleine Studentin warst. Kate Richardson, du hast in der Verwaltung der Universität gearbeitet, obwohl du einen Doktortitel hast. Bin ich zu direkt?«
Ich nickte, schüttelte den Kopf. »Ja, bist du. Ich will es nicht hören, es tut weh, ich weiß, dass es stimmt, und ich will nicht darüber nachdenken. Ich bin ein bisschen verrückt, oder?«
»Nicht verrückt genug«, sagte er sanft.
Ich sah ihn fragend an.
»Kate Riley, falls du mich hören kannst, ich würde gerne mehr von dir erfahren. Ich glaube nämlich, ich bin gerade dabei, mich in dich zu verlieben.« Er wollte mich küssen, aber ich wich ihm aus. »Was ist?«, fragte er, ohne beleidigt zu sein.
»Das Lied vorhin, was du zuletzt gespielt hast.«
»Das war für dich.«
Ich schluckte. »Oh.«
»Findest du’s kitschig?«
»Gar nicht. Nur …«
»Es hat dir nicht gefallen. Verdammt.« Matt sah mich zerknirscht an.
»Doch, doch, nur … Es hat noch nie jemand ein Lied für mich geschrieben, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
Diesmal legte er den Arm um mich und zog mich sachte zu sich. »Darf ich jetzt?« Und statt einer Antwort küsste nun ich ihn.
Gerade habe ich noch einmal alles durchgelesen, um sicherzustellen, dass ich auch nichts vergessen habe. Du wirst dich fragen, warum wir nie nach Irland gefahren sind, wenn doch auch Frank von dort kam. Und du wirst wissen wollen, was ich ihm über meine Eltern erzählt habe. Ich sagte, ich sei zu Hause ausgezogen, als ich sechzehn war, und seitdem bestünde kein Kontakt mehr. Ich erwähnte meine Geschwister nicht einmal. Von der furchtbaren Zeit, die ich anschließend erlebte, erzählte ich ihm nie. Sollte man in einer Beziehung nicht immer offen und ehrlich sein? Müsste man nicht eine Grundlage schaffen, die dazu dient, dass man sich alles gegenseitig anvertrauen kann? Wenn du darauf eine Antwort findest, würdest du wohl vielen Menschen helfen.
Bei Sanjay hatte ich das Gefühl, dass ich ihm alles erzählen konnte. Ich konnte ich selbst sein. Bei Frank versperrte sich etwas in mir. Er würde die wahre Emma niemals lieben können, das wusste ich.
Frank hatte einen Bruder, zu dem er guten Kontakt pflegte, aber der lebte mit seiner Familie in Nordfrankreich, und die Eltern waren nach Chicago ausgewandert. Er lebte, seit er die Schule abgeschlossen hatte, in London, und ich … Ja, unsere Gespräche drehten sich selten um die Vergangenheit. Meist ging es um das Hier und Jetzt. Ich fürchte, Frank kannte mich nie wirklich. Und kannte ich ihn? So wie man einen Menschen kennen
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