Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
wodurch die Szenerie wirkte wie ein Film aus den Fünfzigerjahren. Der dreckige Kamin und der alte Fernseher verstärkten diesen Eindruck.
»Sehr gut«, murmelte ich geistesabwesend. Irgendwie hatte ich mir Emmas Haus anders vorgestellt. »Du bist also nach deiner Scheidung bei deinem Vater eingezogen?«
»Das ergab sich so«, sagte sie und wurde rot. »Möchtest du Tee? Ich kann uns schnell einen machen.«
»Danke.« Ich schüttelte den Kopf. »Wie geht es ihm? Ich hatte nicht den Eindruck, dass er durcheinander ist. Im Gegenteil, er schien gut drauf zu sein.«
Emma drehte sich zur Seite und begann, ein Sofakissen in Form zu bringen. »Ja, zum Glück. Man merkt es nicht sehr. Er verwechselt nur manchmal ein paar Dinge.« Sie strahlte mich an. Es wirkte nicht echt. »Ich war heute schon bei Kaelynn. Sie behalten sie noch eine Weile im Krankenhaus, aber nicht mehr sehr lange. Ein paar Blutwerte waren nicht ganz optimal, aber so etwas kommt vor.«
»O ja, ganz bestimmt«, sagte ich automatisch. »Ich freu mich drauf, wenn du uns mal in Kinsale mit ihr besuchst.« Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mit ihr etwas nicht stimmte, und ich beschloss, einfach nachzuhaken. »Emma, du weißt, dass du mir nichts vormachen musst, oder? Irgendwas ist doch mit dir. Ist es wegen Kaelynn? Oder wegen deinem Vater?«
Sie sah mich mit großen Augen an und schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich, es ist …« Sie ließ sich aufs Sofa fallen und schloss die Augen. »Es ist alles ein bisschen viel.« Ich setzte mich neben sie, legte einen Arm um ihre Schultern.
»Glaub ich dir.«
»Ein Kind in dieser Situation allein erziehen zu müssen … Die Ärzte sagen, sie wissen nicht, wie sie sich entwickelt. Sie scheint so weit gesund zu sein, aber wer weiß schon, vielleicht bleibt sie immer kleiner und schwächer als andere Kinder? Oder ist anfälliger für Krankheiten? Vielleicht kommt sie in der Schule nicht mit? Was, wenn sie gar nicht auf eine normale Schule gehen kann?«
»Dann ist es einfach so«, sagte ich. »Egal wie es kommt, sie ist deine Tochter, du wirst sie so lieben, wie sie ist, und das ist für die Kleine doch das Wichtigste auf der Welt. Dass sie geliebt wird. Nicht, ob sie irgendwann mal Astrophysikerin wird oder Hochleistungssportlerin. Oder?«
Emma nickte. »Ja, klar. Trotzdem. Leicht wird es nicht. Das macht mir einfach Angst. Ich frage mich, ob ich das alles schaffe und was noch alles auf mich zukommt. Solche Dinge. Da schläft man schon mal schlecht.« Sie lächelte schief. »Und ehrlich gesagt, ich hatte gehofft, du würdest nicht herkommen. Nicht so früh. Ich … ach, keine Ahnung.«
»Du willst nicht, dass ich hier bin? Aber du hast mir doch gezeigt, wo du wohnst. Ich dachte, es sei okay für dich, wenn …«
»Schau dich doch mal um!«, unterbrach sie mich. »Ich meine, ich wohne bei meinem Vater! Ich habe keine eigene Wohnung mehr, seit ich geschieden bin, ich kann mir im Moment keinen Job suchen, und wer weiß, ob ich es je irgendwann kann. Ich muss mich um meinen Vater kümmern und um Kaelynn noch viel mehr.«
»Was ist mit deinen Geschwistern?«
»Ja, sie helfen. Kommen manchmal vorbei. Sie haben alle ihre eigenen Familien. Andere Probleme.« Sie sah mich an. »Es ist manchmal einfach zu viel für mich. Ich wollte nicht, dass du mich so siehst.«
Ich atmete tief aus. »Emma, ich wohne bei meinem Onkel im Jugendzimmer meiner Cousine. Ich sitze da seit einem halben Jahr und starre mehr oder weniger die Wände an, ohne zu wissen, was ich mit mir anfangen soll. Und du? Du bist eine große Stütze für deinen Vater, und du hast eine süße kleine Tochter, die dich braucht. Da darfst du auch mal erschöpft sein. Und dich so zeigen.« Ich umarmte sie kurz und fest. »Dein Exmann …«, begann ich.
Emma nickte schnell. »Wir haben alles geregelt. Darum geht es nicht.« Sie lächelte mich kurz an. »Die Sorgen, die man sich um sein Kind macht, die Nächte, die man nicht schlafen kann … Das kann einem niemand nehmen. Da hilft auch kein Geld. Aber sich mit einer guten Freundin unterhalten, das hilft mir sehr.« Sie drückte meine Hand. »Sag, warum bist du eigentlich hier? Du hattest doch bestimmt einen Grund herzukommen?«
»Ach, ich wollte nur ein bisschen plaudern, aber ich weiß nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Ich komme gerne ein anderes Mal wieder. Oder«, fügte ich hastig hinzu, »wir treffen uns irgendwo. Wie es dir recht ist.«
»Sei nicht albern. Jetzt weißt du ja, wie ich wohne.
Weitere Kostenlose Bücher