Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
sollen wir dann schon machen? Nichts.«
»Dann würden wir es bekommen?«
Brian, immer noch den Rücken zu mir, hob die Schultern. »Natürlich. Natürlich.«
Ich ging zu ihm, drückte mit der Hand seine Schulter nach hinten und zwang ihn, mich anzusehen. »Wir können immer noch nach England. Oder Holland.« Ich betrachtete ihn genau.
»Nein«, sagte er.
Wieder verriet ihn sein Blick: Zerrissenheit, Unsicherheit.
»Warum hast du so eine Angst davor?«, fragte ich. »Das mit dem Geld ist doch alles nur ein Vorwand. Was ist los?«
Brian riss sich von mir los. Er öffnete die Terrassentür und ging nach draußen. Ich folgte ihm. Es war ein grauer Samstagmorgen im Mai. Ein Nachbar trug seine Einkäufe durch den Nieselregen ins Haus. Er nickte uns zu. Brian grüßte zurück.
»Ich muss gleich in die Agentur«, sagte er zu mir.
»Ich weiß. Aber erst redest du mit mir.«
»Auf keinen Fall würde ich wollen, dass wir das Kind abtreiben«, sagte er ernst.
»Aber es wäre dir lieber, wenn es erst gar kein Kind gäbe?«
Brian nickte. »Vielleicht später mal. Aber nicht jetzt.«
»Warum nicht jetzt?«, fragte ich sanft und strich ihm über den Rücken.
Brian verschränkte die Arme und drehte sich zu mir. »Okay. Ich habe Angst, ja. Und zwar davor, dass irgendwas passiert, das ich nicht verhindern kann.«
»Was meinst du? Krankheiten? Unfälle?«
»Tod.«
»Brian! Wie kommst du jetzt darauf?«
»Ich …« Er zögerte. »Ich hab dir das noch nie erzählt, Kate, es gab keinen Grund. Bis jetzt. Ich hatte einen kleinen Cousin, John. Der Sohn der Schwester meines Vaters. Sie wohnten nur ein paar Häuser weiter. John war immer ein bisschen zarter als die anderen Kinder. Und kränklich. Dauernd musste er ins Krankenhaus oder zur Kur, wegen der Bronchien. Aber er war ein wirklich lustiger, lieber kleiner Kerl. Ich mochte ihn total gern. Er war zehn Jahre jünger als ich. Der Augenstern seiner Eltern, weil sie jahrelang dachten, sie würden kinderlos bleiben. Als John dann kam, war es für sie wie ein Wunder. Ich passte manchmal auf ihn auf. Nie sehr lange, ich war ja selbst noch sehr jung. Aber wenn gerade alle Erwachsenen zu tun hatten, setzten sie mich in sein Zimmer. Dann hieß es: Pass auf, Brian, wir helfen den Nachbarn gerade im Garten, dauert nur eine Stunde, wenn was ist, kommst du schnell rübergelaufen. Oder: Hör zu, wir sind mal eben eine halbe Stunde beim Einkaufen, du weißt ja, wenn er anfängt zu husten, rufst du den Notarzt und gibst ihm seinen Inhalator. Sie waren wirklich nie lange weg. Und es war noch nie irgendwas passiert.«
»O nein«, sagte ich, weil ich ahnte, was nun kam. »Das ist nicht wahr, oder?«
Er sah mich kurz an, dann richtete er den Blick auf den Rasen. »Meine Tante kam vorbei und lieferte John ab, sie musste nur eben etwas erledigen, ob er kurz bei mir bleiben könne. Ein Freund war zu Besuch. Wir waren fünfzehn und hatten natürlich keine Lust, auf einen Fünfjährigen aufzupassen. Ich mochte John, natürlich, aber meine Freunde waren mir zu der Zeit viel wichtiger. Ich gab ihm etwas zu spielen und setzte ihn ins Wohnzimmer. Wir gingen rauf in mein Zimmer und drehten die Musik auf. Allerdings regte sich mein Gewissen nach einer Viertelstunde. Ich ging runter, um nach John zu sehen. Er lag bewusstlos auf dem Boden. Ein Asthmaanfall. Ich hörte nur noch sein schreckliches Keuchen. In meiner Panik wusste ich nicht, was ich zuerst tun sollte. Ich schrie nach meinem Freund, der mich wegen der lauten Musik nicht hörte. Ich rannte zum Telefon und rief einen Notarzt, aber der brauchte natürlich einige Minuten. In dieser Zeit kniete ich neben John, versuchte ihn zu beatmen, wie ich es im Fernsehen gesehen hatte, sprühte sinnlos mit dem Inhalator herum, tat tausend Dinge, die überhaupt nichts brachten. Ich kniete also neben ihm und sah ihm beim Sterben zu.« Er schluckte. »Ich hab mir das nie verziehen. Auch nicht, was dann mit meiner Tante geschah. Sie kam über Johns Tod nicht hinweg und starb ein paar Monate später. Es war grauenhaft.«
Ich war erschüttert. »Warum hast du mir nie davon erzählt?«, flüsterte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe einen kleinen Jungen auf dem Gewissen. Und seine Mutter irgendwie auch. Damit geht man nicht hausieren.«
»Ich bin deine Frau«, sagte ich. »Ich liebe dich.«
»Jetzt immer noch? Kannst du mich immer noch lieben?«
»Natürlich.«
»Müsstest du jetzt nicht solche Sachen sagen wie: Aber du bist nicht dafür
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