Endstation für neun
ihm die Unterlagen auf den Tisch.
»Du vergisst doch nie was. Wenn du mal einen Moment Zeit hast, kannst du ja mal gucken, ob du dich bei diesen Leuten an etwas Besonderes erinnerst.«
Melander warf einen gleichgültigen Blick auf das Verzeichnis und nickte.
Am 23., einen Tag vor Heiligabend, flogen Mänsson und Nordin, von niemandem vermisst, nach Hause. Sie würden bereits zwischen den Jahren zurückkehren. Draußen war es kalt und grauenhaft.
Die Konsumgesellschaft ächzte in allen Fugen. An diesem speziellen Tag ließ sich alles verkaufen, egal zu welchem Preis. Bezahlt wurde meist mit Kreditkarte und ungedeckten Schecks. Als Martin Beck am Abend nach Hause fuhr, dachte er, dass Schweden seinen ersten richtigen Massenmord erlebt hatte. Und seinen ersten ungelösten Polizistenmord.
Die Ermittlungen steckten in einer Sackgasse. Und in technischer Hinsicht ähnelten sie, im Gegensatz zum Fall Teresa, einem Müllberg.
28
Es wurde Heiligabend.
Martin Beck bekam ein Weihnachtsgeschenk, das ihn trotz aller gegenteiligen Spekulationen nicht zum Lachen brachte. Lennart Kollberg bekam ein Weihnachtsgeschenk, das seine Frau in Tränen ausbrechen ließ.
Beide hatten sich vorgenommen, keinen Gedanken an Äke Stenström oder Teresa Camaräo zu verschwenden, und beide brachen ihre guten Vorsätze.
Martin Beck war schon früh wach, blieb jedoch im Bett und las in seinem Buch über die Admiral Graf Spee, bis der Rest seiner Familie anfing, Lebenszeichen von sich zu geben. Dann stand er auf und zog eine Khakihose und einen Wollpullover an. Seine Frau, die der Meinung war, dass man sich an Heiligabend fein anziehen sollte, runzelte die Stirn, als sie seine Aufmachung musterte, sagte jedoch ausnahmsweise einmal nichts. Während sie traditionsgemäß das Grab ihrer Eltern auf dem Friedhof besuchte, schmückte Martin Beck zusammen mit Rolf und Ingrid den Weihnachtsbaum. Die Kinder waren aufgedreht und laut, und er gab sich alle Mühe, die Stimmung nicht zu drücken. Seine Frau kehrte von ihrem rituellen Besuch bei den Toten zurück, und er beteiligte sich tapfer am Brottunken im fettigen Schinkensud, einem Weihnachtsbrauch, mit dem er sich nur schwer abfinden konnte.
Es dauerte nicht lange, bis sich das Bauchweh einstellte. Martin Beck war an diese dumpfen Schmerzattacken so gewöhnt, dass er ihnen schon lange keine Beachtung mehr schenkte, jedoch hatte er das Gefühl, dass sie in letzter Zeit öfter und heftiger auftraten. Mittlerweile erzählte er es Inga nicht mehr, wenn er Schmerzen hatte. Früher hatte er das getan, und sie hatte ihn mit ihren Kräutertees und ihrer niemals nachlassenden Fürsorglichkeit beinahe umgebracht. Für sie war eine Krankheit ein Ereignis, das den gleichen Rang hatte wie das Leben selbst.
Das Weihnachtsessen war mehr als üppig, vor allem, da es lediglich für vier Personen gedacht war, von denen es einer nur äußerst selten gelang, sich eine normale Portion einzuverleiben, eine auf Diät war und eine zu erschöpft von der arbeitsaufwändigen Zubereitung, um essen zu können. Blieb einzig Rolf, der dafür umso mehr aß. Er war zwölf, und Martin Beck wunderte sich immer wieder, dass der schmächtige Körper seines Sohnes tagtäglich in der Lage war, ungefähr die gleiche Menge an Nahrungsmitteln zu bewältigen, die er selbst mit viel Mühe in einer Woche hinunterwürgte.
Alle halfen beim Abwasch, was auch nur an Heiligabend vorkam.
Danach zündete Martin Beck die Kerzen am Weihnachtsbaum an, während er an die Brüder Assarsson dachte, die Plastikweihnachtsbäume als Deckmantel für ihre Drogengeschäfte importiert hatten. Dann folgten Glühwein und Weihnachtsgebäck und Ingrid, die sagte:
»Ich finde, es wird langsam Zeit, das Pferd hereinzuführen.« Wie üblich hatten alle versprochen, für jeden nur ein Weihnachtsgeschenk zu besorgen, und wie üblich hatten sich alle nicht daran gehalten.
Martin Beck hatte Ingrid kein Pferd gekauft, aber als Ersatz bekam sie eine Reithose und die Reitstunden für das nächste halbe Jahr.
Er selbst bekam unter anderem einen Modellbausatz des Klippers Cutty Sark und einen zwei Meter langen Schal, den Ingrid gestrickt hatte.
Von ihr bekam er außerdem ein flaches Päckchen, und sie sah ihn erwartungsvoll an, als er es auspackte. Es enthielt eine kleine Schallplatte. Auf der plastiklaminierten Hülle sah man das Foto eines dicken Mannes in der berühmten Uniform eines Londoner Bobbys. Er hatte einen großen, buschigen Schnäuzer und Strickhandschuhe an
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