Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

»befinden wir uns mitten in einer Renaissance, die in jeder Hinsicht so real ist wie die vom Geist der früheren Renaissance durchdrungene, die uns die Kapelle von Nikolaus dem Fünften und die anderen Wunder geschenkt hat, die Sie auf dem Weg hierher gesehen haben. Und diese Renaissance ist wahrhaftig eine des Geistes, Federico...«
    De Soya wartet.
    »Dieses... Scheusal... wird das alles zerstören«, sagt Lourdusamy nun mit todernster Stimme. »Wie ich schon vor einem Jahr zu Ihnen sagte, suchen wir nicht ein Kind, sondern einen Virus. Und wir wissen jetzt, woher dieser Virus kommt.«
    De Soya hört zu.
    »Seine Heiligkeit hatte eine seiner Visionen«, sagt der Kardinal mit so leiser Stimme, dass es einem Flüstern gleichkommt. »Ihnen ist bekannt, Federico, dass der Heilige Vater häufig von gottgesandten Träumen erleuchtet wird?«
    »Ich habe Gerüchte gehört, Eure Eminenz.« Dieser magische Aspekt der Kirche hat de Soya stets am wenigsten zugesagt. Er wartet.
    Lourdusamy winkt mit einer Hand, als wolle er die albernen Gerüchte verscheuchen. »Es stimmt, dass Seiner Heiligkeit nach inbrünstigen Gebeten, strengem Fasten und äußerster Demut entscheidende Erleuch-tungen zuteil wurden. Eine solche Erleuchtung war unser Wissen, wann und wo das Kind auf Hyperion auftauchen würde. Seine Heiligkeit war bis auf den Augenblick genau korrekt, oder nicht?«
    De Soya neigt den Kopf.
    »Und eine dieser heiligen Offenbarungen hat den Heiligen Vater veranlasst, Sie in seine Dienste zu nehmen, Federico. Er hat gesehen, dass Ihr Schicksal und die Rettung unserer Kirche und Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden sind.«
    Pater Captain de Soya kann ihn nur anstarren, ohne zu blinzeln.
    »Und jetzt«, knurrt Kardinal Lourdusamy, »wurde die Gefahr für die Zukunft der Menschheit wesentlich detaillierter enthüllt.«
    Der Kardinal erhebt sich, aber als sich de Soya und Monsignore Oddi beeilen, ebenfalls aufzustehen, winkt er sie auf ihre Stühle zurück. De Soya setzt sich und sieht zu, wie die gigantische rotweiße Masse sich durch die sonnigen Stellen des dunklen Raumes bewegt, wo die Wangen des Kardinals leuchten und seine Augen im Schatten der Deckenleuchten verschwinden.
    »Tatsächlich handelt es sich um den größten Versuch der KI des TechnoCore, uns zu vernichten, Federico. Dasselbe mechanische Böse, das die Alte Erde zerstörte, das mittels der parasitären Farcaster den Geist und die Seelen der Menschen ausnutzte und den Angriff der Ousters auslöste, der dem Fall vorausging... dasselbe Böse ist hier am Werk. Der Spross des Cybrids, diese... Aenea... ist sein Instrument. Darum haben die Farcaster für sie funktioniert, obwohl sie niemanden sonst passieren lassen. Darum hat das dämonische Shrike Tausende unseres Volkes abgeschlachtet und könnte bald schon Millionen abschlachten – möglicherweise Milliarden.
    Wenn er nicht aufgehalten wird, könnte es diesem... Sukkubus... gelingen, uns der Herrschaft der Maschine zu unterwerfen.«
    De Soya sieht, wie die große rote Gestalt des Kardinals sich vom Licht ins Dunkel bewegt. Das alles ist ihm nicht neu.
    Lourdusamy bleibt stehen. »Aber Seine Heiligkeit weiß jetzt, dass dieser Cybridbastard nicht nur die Agentin des Core ist, Federico... sie ist das Instrument des Maschinengotts.«
    De Soya versteht. Als die Inquisition ihn nach den Cantos fragte, wurden seine Knie weich bei dem Gedanken, er würde bestraft werden, weil er das verbotene Gedicht gelesen hat. Aber selbst in diesem auf dem Index stehenden Buch wurde zugegeben, dass die Elemente der Core-KIs jahrhundertelang daran gearbeitet hatten, eine Höchste Intelligenz hervorzubringen – eine kybernetische Gottheit, die ihre Macht rückwärts durch die Zeit festigen und das Universum beherrschen würde. Tatsächlich erwähnen sowohl die Cantos als auch die offizielle Geschichte der Kirche diesen durch die Zeiten geführten Kampf zwischen dem falschen Gott und Unserem Herrn. Der Keats-Cybrid – die Cybriden, genauer gesagt, denn es war ein Ersatz angefertigt worden, nachdem eine Fraktion des Core den ersten in der Megasphäre vernichtet hatte – war in den verbotenen Cantos fälschlicherweise als Kandidat eines Messias der »menschlichen HI« –
    dieses blasphemischen Teilhardschen Konzepts eines evolutionär hoch entwickelten Menschengottes – präsentiert worden. In dem Gedicht hieß es, dass Empathie der Schlüssel zur spirituellen Evolution der Menschheit wäre. Die Kirche hatte das verbessert