Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
mir aufgefallen, dass die Backsteinmauer zwischen den Felswänden vergleichsweise neu sein musste... wenige Jahrhunderte alt im Vergleich zu den Jahrtausenden, vor denen der Felstunnel geschlagen worden sein musste. Ich tastete mich voran, bis ich mit den Fingern Stein, Backstein, losen Mörtel berührte.
»Dies wurde hastig gebaut«, sagte ich mit der wenigen Sachkenntnis, die ich mir vor Jahren als Assistent des Landschaftsgärtners auf den Anwesen des Schnabels angeeignet hatte. »Der Mörtel ist rissig, einige der Steine sind gesprungen«, sagte ich und bewegte rasch die Finger. »Gebt mir etwas zum Graben. Verdammt, ich wünschte, ich hätte mein Messer nicht weggeworfen.«
Aenea gab mir in der Dunkelheit einen spitzen Stock oder Zweig, und ich grub mehrere Minuten, bis mir aufging, dass ich mit einem an einem Ende abgebrochenen Oberschenkelknochen arbeitete. Die beiden anderen halfen mir, und so gruben wir mit Knochen und bearbeiteten die kalte Steinmauer, bis unsere Nägel abbrachen und die Finger bluteten. Nach einiger Zeit machten wir eine Pause, um keuchend Atem zu schöpfen. Unsere Augen hatten sich nicht an die Dunkelheit angepasst. Es gab kein Licht hier unten.
»Die Messe wird vorbei sein«, flüsterte Aenea. Ihrem Tonfall nach zu urteilen, war das eine Tragödie.
»Es ist ein Hochamt«, flüsterte der Priester. »Eine lange Zeremonie.«
»Wartet!«, sagte ich. Ich hatte mit den Fingern eine schwache Bewegung in den Steinen gespürt – nicht in einigen wenigen, sondern in dem gesamten Mauerwerk.
»Tretet zurück«, sagte ich laut. »Drückt euch an die Tunnelwände.« Ich wich selbst zurück, aber gerade zurück, hob die linke Schulter, senkte den Kopf und rannte geduckt los, wobei ich halb damit rechnete, dass ich mir den Kopf an der Mauer stoßen und mich selbst bewusstlos schlagen würde.
Ich prallte mit einem lauten Grunzen in einem Schauer von Staub und Geröll gegen die Steine. Die Mauer war nicht eingestürzt. Aber ich hatte gespürt, wie sie nachgab.
Aenea und de Soya unterstützten mich, und nach einer Minute hatten wir das Zentrum der Backsteinmauer zum Einsturz gebracht, und der gesamte Rest brach ein, weg von uns.
Auf der anderen Seite des Durchgangs konnte man einen schwachen Lichtschimmer erkennen, der ausreichte, uns eine schuttübersäte Rampe zu zeigen, die in einen noch tieferen Tunnel führte. Wir krochen auf Händen und Knien hinunter, bis wir wieder Raum zum Stehen hatten, und gingen einen Korridor hinab, der nach Erde roch. Nach zwei weiteren Biegungen gelangten wir in eine Katakombe, die ebenso unfertig wirkte wie die über uns, aber von einem schmalen Streifen Leuchtband erhellt wurde, das in Hüfthöhe an der rechten Wand verlief. Noch einmal fünfzig Meter Biegungen und Kurven, wobei wir stets dem von Leuchtband gekennzeichneten Weg folgten, und wir befanden uns in einem breiteren Tunnel, in dem in Abständen von fünf Metern moderne Leuchtkugeln angebracht waren. Diese Kugeln waren ausgeschaltet, aber der uralte Leuchtbandstreifen ging weiter.
»Wir sind unter dem Petersdom«, flüsterte Pater de Soya. »Dieser Bereich wurde erstmals 1939 wieder entdeckt, nachdem sie Papst Pius XI. in einer nahe gelegenen Grotte begraben hatten. Die Ausgrabungen wurden rund zwanzig Jahre fortgesetzt und dann aufgegeben. Sie sind nicht wieder für Archäologen geöffnet worden.«
Wir kamen in einen noch breiteren Korridor – breit genug, dass wir drei zum ersten Mal nebeneinander gehen konnten. Hier waren die verputzten, hin und wieder mit Marmorintarsien geschmückten Wände mit Fresken, frühen christlichen Mosaiken und zerbrochenen Statuen über Nischen bedeckt, in denen man deutlich Knochen und Schädel sehen konnte.
Jemand hatte einst Plastikplanen vor zahlreiche dieser Nischen gespannt; das Material war vergilbt und milchig geworden, sodass man die sterblichen Überreste dahinter kaum erkennen konnte, aber wenn wir uns verrenkten und anstrengten, konnten wir leere Augenhöhlen und Ovale von Beckenknochen sehen.
Die Fresken zeigten christliche Motive – Tauben mit Olivenzweigen, Frauen beim Wasserschöpfen, den unvermeidlichen Fisch –, lagen aber unmittelbar neben älteren Grotten, Urnen und Gräbern mit vorchristlichen Bildern von Isis und Apollo, Bacchus, der die Toten mit überfließenden Weinschläuchen im Jenseits begrüßte, eine Szene mit herumtollenden Ochsen und Widdern, eine andere mit tanzenden Satyrn – mir fiel sofort die Ähnlichkeit mit Martin Silenus auf,
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