Endzeit
witterte in alle Richtungen. Mißtrauisch ließ sie die Blicke ihrer goldenen Wolfsaugen wandern. Aus den angrenzenden Räumen hörte sie Tumult und Schreie. Sie konnte die Verunsicherung und Angst der Menschen riechen.
Sie mußte an sich halten, nicht wahllos weiterzujagen. Draußen wartete die Freiheit auf sie. Hier drinnen würde man sie über kurz oder lang überwältigen.
Sie sprang auf und jagte in Richtung Ausgang. Die Tür war natürlich verriegelt, und in ihrer jetzigen Gestalt konnte sie den komplizierten Schließmechanismus nicht betätigen. Aus tiefster Kehle grollend verharrte sie. Näherkommende Schritte verrieten ihr, daß man ihr dicht auf den Fersen war.
Zwei von Frears Männern bogen um die Ecke. Sie waren mit Pistolen und Säbeln bewaffnet. Nona knurrte sie an.
»Schieß!« brüllte einer der Männer.
Nona nahm Anlauf. Mit einem Satz sprang sie über die Männer hinweg und flüchtete. Das Risiko, daß die Schußwaffe vielleicht mit Silber geladen war, schien ihr zu groß.
Die Bar ging in ein weitverzweigtes System von Gängen über. Nona hetzte weiter, atemlos, sich keine Pause gönnend.
Eine Stunde irrte sie umher, bis sie endlich über sich einen vertrau-ten Lichtschein sah. Durch ein vergittertes Kellerfenster an der Decke drangen die Strahlen des Vollmonds herab.
Die Mauern in diesem Teil des Kellers waren aus rohen, ungleichmäßigen Steinen erbaut. Nona hatte keine Mühe, sie zu erklimmen. Geschickt nutzte sie jeden noch so geringen Vorsprung, bis sie oben angelangt war. Das Gitter ließ sich nur von innen öffnen und besaß einen einfachen Riegel, den sie mühelos mit den Zähnen beiseite schieben konnte.
Sie zwängte sich durch die schmale Öffnung ins Freie. Ein triumphierendes Heulen entrang sich ihrer Kehle. Sie hatte es geschafft!
Wachsam sah sie sich um.
Die abendliche Straße lag gewohnt menschenleer vor ihr. Sie wußte längst, daß kaum ein Mensch es wagte, nach Einbruch der Dunkelheit seine schützende Behausung zu verlassen.
Erst recht nicht bei Vollmond. Mehr als sonst waren die Kreaturen der Dunkelheit unterwegs, wenn er seine Herrschaft über die Nacht antrat.
Nona huschte weiter, bemüht, trotz ihrer Euphorie weiter Vorsicht walten zu lassen.
Plötzlich sah sie am entfernten Ende der Straße mehrere huschende Schatten verschwinden. Nona erkannte sie gleich. Es waren weder Menschen noch Dienerkreaturen, sondern .
. .. Artgenossen!
*
Es war ein kleines Rudel von vier Wölfen. Sie hatten sie noch nicht gewittert. Vielleicht, weil der Wind ungünstig stand; vielleicht auch, weil die Macht des Mondes auch sie die Vorsicht hatte vergessen lassen. Nun waren sie unterwegs, um Beute zu machen. Trotz der Gefahr, die ihnen von den Dienerkreaturen drohte.
Es war nicht einfach für Nona, dem Rudel zu folgen. Sie kannten sich in diesem Bezirk New Yorks gut aus und schlugen mehrmals raffinierte Haken. Als Nona schweratmend eine Straßenecke erreichte, konnte sie das Rudel nicht mehr sehen.
Dafür erblickte sie im nächsten Moment etwas anderes. Aus einer Hausnische traten vier Gestalten ins Licht des Mondes.
Dienerkreaturen!
Nona zuckte zurück. Gerade noch rechtzeitig!
Die Kreaturen schienen zielgerichtet zu operieren. Sie liefen geduckt los, nutzten sie die Gunst der Schatten und drangen in eine Nebenstraße ein. Hatten sie sich vorgenommen, die Werwolfmeute zu verfolgen? Nona heftete sich an ihre Fersen.
Plötzlich drang wütendes Geheul aus der Straßenschlucht, und als Nona weit genug aufgeschlossen hatte, sah sie, was passiert war.
Das Rudel saß in der Falle! Der Weg wurde ihnen von einer weiteren Gruppe Dienerkreaturen versperrt. Die Blutsauger waren deutlich in der Überzahl.
Nona hatte vorgehabt, aus dem Verborgenen zu beobachten. Aber sie konnte unmöglich mitansehen, wie Angehörige ihrer Rasse einen aussichtslosen Kampf fochten!
Die ersten Dienerkreaturen hatten die Werwölfe erreicht und griffen an. Ihre spitzen Krallen und Zähne waren nicht ungefährlichere Waffen als die Klauen und Fänge der Wölfe. Dazu kam die Gefühllosigkeit ihrer toten Körper, die keinen Schmerz empfanden.
Nona hielt es nicht mehr in ihrem sicheren Versteck. Sie stürmte vorwärts. Die Kämpfenden bemerkten sie nicht eher, bis sie sich selbst in das Getümmel stürzte.
Sofort wurde sie von einer Dienerkreatur angegriffen. Es handelte sich um einen noch jungen, wendigen Blutsauger mit gewaltigen Reißzähnen. In seinen blutunterlaufenen Augen blitzte die reine
Weitere Kostenlose Bücher