Engel der Finsternis (German Edition)
führen, hatte sie sich nicht wirklich gefürchtet. Meresin hatte die Frauen oft sogar bewundert. Wenn sie schwanger wurden, akzeptierten sie mit einer nur schwer nachvollziehbaren Selbstverständlichkeit, wie sehr sie dafür würden leiden müssen. Katharina hatte sich nie wirklich gegen ihr Leiden aufgelehnt. Sie nahm immer an, nach neun Monaten würde es beendet sein. Erst als Agreas aufgetaucht war, wurde sie irrsinnig. So war es auch bei der Nonne aus Buchau gewesen.
Und so durfte es bei Franzi nie sein. Wenn Meresin daran dachte, dass Harut sich an ihrem Körper verging, sie schreien machte und sich an ihrem kindlichen Weinen berauschte, begannen seine Glieder zu zittern. Meresin ballte die Hände zu Fäusten und spannte alle Muskeln seines Körpers an. Seine Schwingen erbebten und sein Atem beschleunigte sich.
Harut lächelte, wenn er den Frauen die Knochen brach. Er betrachtete sie mit einer Mischung aus Neugier und Spott. Es sah jedes Mal aus, als wollte er herausfinden, wie viel Schmerz sie ertragen konnten, ohne verrückt zu werden. Meresin war es unverständlich, wie man sich an so etwas erregen konnte.
Harut hatte sich sogar schon einmal des Körpers einer Frau bemächtigt, die gerade gefoltert wurde und kurz vor dem Tod stand. Er steigerte sich in einen Rausch aus Machtgier und Brutalität, der ihm alles nahm, was ihn einmal als Engel zu einem höheren Wesen gemacht hatte. Die Hilflosigkeit seiner Opfer belustigte ihn. Mit Vorliebe sah er in ihre Gesichter, kurz bevor er ihnen Schmerzen zufügte. Unerträgliche Schmerzen. Er erzählte ihnen, was kommen würde, um zu sehen, wie sich ihre Mienen in panischer Angst verzerrten. Seine Opfer waren bereit, alles zu tun, um dem zu entrinnen, was er ihnen angedroht hatte, nur um im nächsten Moment festzustellen, dass es keine Rettung mehr gab.
Und Franzi würde er noch weit schlimmere Dinge antun, als der Frau, die dort im Wald vor ihm lag und schon so gut wie vernichtet war. Er würde sich mit ihr ganz besonders viel Zeit nehmen. Einfach nur weil er wusste, sie war die Frau, die Meresin liebte. Aber Meresin würde nie zulassen, dass Harut diese Frau, die er so sehr liebte und begehrte, in die Hände bekam. Genauso wenig, wie er sie Agreas überlassen würde. Aber eines war klar. Sollte Franzi nach Schussenweiler zurückkehren, würde sie unweigerlich diesen beiden Dämonen in die Hände fallen. Sie würden sie aus dem Kerker holen und sie so lange foltern, bis er aus dem Wald kam. Und er würde nicht, so wie er es jetzt tat, von seinem Versteck aus schweigend und tatenlos zusehen, wie ihr Körper sich ganz langsam in Nichts auflöste.
„Meresin! Rette sie!“, schrie die gefolterte Frau unmittelbar vor ihrem Tod. Sie hatte also gewusst oder zumindest geahnt, dass er sich in der Nähe aufhielt. So wie Harut es tat. Der vollendete sein grausames Werk und brüllte dabei wie ein wildes Tier.
„Ich werde sie holen! Und wenn ich sie habe, werde ich sie vor deinen Augen so lange schänden und schinden, bis du aus deinem Loch gekrochen kommst, du erbärmlicher Verräter! Zeig dich mir und kämpfe!“
Aber Meresin zog sich in die Höhle zurück, wo er Franzi zitternd und weinend im hintersten Winkel fand - die Fäuste gegen die Ohren gepresst und die Knie bis unter das Kinn gezogen. Er ging vor ihr in die Hocke, zog sie an sich und spürte erleichtert, wie sich ihr Herzschlag langsam beruhigte und das Zittern nachließ.
„Sie ist wegen uns hingerichtet worden, habe ich recht?“ Auf diese Frage wollte Franzi eigentlich keine Antwort, dennoch musste sie sie stellen. „Ein furchtbarer Tod. Sie foltern die Menschen, weil sie uns nicht finden können. Wir sind schuld. Werden sie Vater auch foltern, wenn ich nicht freiwillig nach Waldenfels zurückkehre?“
23. Kapitel
„Wieso sagst du nichts?“ Heidruns Stimme klang empört und anklagend, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte. „Siehst du jetzt endlich ein, dass ich recht habe? Franzi ist an allem Schuld. Du wolltest es mir ja nie glauben. Jetzt sieh dir an, was sie uns angetan hat. Walburga sitzt im Kerker auf Waldenfels, unser Vieh ist tot, das Haus verwüstet und uns behandelt man wie Aussätzige. Ist dir eigentlich klar, die Leute im Dorf haben zugesehen, wie ich beinahe getötet worden wäre? Keiner ist mir zu Hilfe gekommen. Alle haben sie mir die Türen vor der Nase zugeschlagen. Sie wollten, dass ich sterbe. Und sie wollen uns auch nicht mehr im Dorf haben. Der Schulze genauso
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