Engel Der Nacht
Bund meiner Jeans gleiten, bevor Jules mich auf die Füße zog.
»Ich musste den Strom abstellen«, sagte er und stellte die Leuchte auf den nächstbesten Tisch. »Man kann im Hellen nicht Versteck spielen.«
Er zog zwei Stühle heran und stellte sie einander gegenüber. »Setz dich.« Es klang nicht wie eine Einladung.
Mein Blick flog zu der Fensterfront am anderen Ende des Raums. Ich fragte mich, ob ich ein Fenster öffnen und entkommen könnte, bevor Jules mich aufhielt. Unter vielen anderen selbsterhaltenden Gedanken kam mir auch der, dass ich auf keinen Fall ängstlich erscheinen durfte. Irgendwo in meinem Hinterkopf erinnerte ich mich an diesen Rat aus dem Selbstverteidigungskurs, den ich mit meiner Mutter zusammen belegt hatte, nachdem mein Vater gestorben war. Augenkontakt herstellen … sicher erscheinen … gesunden Menschenverstand benutzen … alles leichter gesagt als getan.
Jules drückte meine Schultern hinunter und zwang mich auf einen Stuhl. Die Kälte des Metalls drang durch meine Jeans.
»Gib mir dein Handy«, befahl er und streckte die Hand aus.
»Das habe ich im Auto liegen gelassen.«
Er lachte. »Willst du wirklich Spielchen mit mir spielen? Ich habe deine beste Freundin irgendwo hier im Gebäude eingeschlossen. Wenn du Spielchen mit mir spielst, meint sie sicher, wir würden sie ausschließen. Und dann muss ich mir ein ganz besonderes Spiel ausdenken, um sie zu entschädigen.«
Ich grub nach dem Telefon und gab es ihm.
Mit übernatürlicher Stärke brach er es entzwei. »Jetzt sind es nur noch wir beide.« Er sank in den Stuhl gegenüber von mir und streckte bequem die Beine aus. Ein Arm hing über die Stuhllehne. »Lass uns reden, Nora.«
Ich sprang vom Stuhl auf. Jules packte mich um die Taille, und bevor ich auch nur vier Schritte hatte tun können, saß ich wieder auf dem Stuhl.
»Ich hatte mal Pferde«, sagte er. »Vor langer Zeit, in Frankreich, hatte ich einen Stall voller schöner Pferde. Spanische Pferde waren mir die liebsten. Sie wurden wild gefangen und dann direkt zu mir gebracht. In ein paar Wochen hatte ich sie gezähmt. Aber ab und zu, ganz selten, gab es ein Pferd, das sich nicht zähmen ließ. Weißt du, was ich mit den Pferden gemacht habe, die sich nicht haben zähmen lassen?«
Ich schauderte anstelle einer Antwort.
»Gehorche, und du hast nichts zu befürchten«, sagte er.
Ich glaubte ihm nicht einen Augenblick lang. Dieses Glimmen in seinen Augen war alles andere als aufrichtig.
»Ich habe Elliot in der Bibliothek gesehen.« Das Beben in meiner Stimme überraschte mich selbst. Weder mochte ich
Elliot noch traute ich ihm, aber er verdiente es nicht, langsam und qualvoll zu sterben. »Hast du ihn verletzt?«
Er rutschte dichter heran, als wollte er ein Geheimnis mit mir teilen. »Wenn du ein Verbrechen begehen willst, dann hinterlasse niemals Beweise. Elliot war ein wichtiger Teil des Plans. Er weiß zu viel.«
»Bin ich deshalb hier? Wegen des Artikels, den ich über Kjirsten Halverson gefunden habe?«
Jules lächelte. »Elliot hat ganz vergessen, mir zu sagen, dass du über Kjirsten Bescheid weißt.«
»Hat Elliot sie ermordet … oder du?«, fragte ich mit kalter Eingebung.
»Ich musste Elliots Treue testen. Also habe ich ihm genommen, was ihm am wichtigsten war. Elliot war als Stipendiat an der Kinghorn, und man hat ihn das nicht vergessen lassen. Bevor ich kam. Ich war sein Wohltäter. Am Ende musste er zwischen mir und Kjirsten wählen. Oder genauer, zwischen Geld und Liebe. Es scheint nicht sehr angenehm zu sein, als Bettler unter Prinzen zu leben. Ich kaufte ihn, und so wusste ich, dass ich mich auf ihn verlassen konnte, als es um dich ging.«
»Warum ich?«
»Das hast du noch nicht herausgefunden?« Ein Lichtschein fiel auf sein Gesicht, brachte die Gewissenlosigkeit in seinen Zügen zum Ausdruck und ließ seine Augen wie geschmolzenes Silber glänzen. »Ich habe mit dir gespielt. Hatte dich an der Angel. Habe dich als Stellvertreter benutzt, weil die Person, die ich wirklich verletzen will, unverletzlich ist. Weißt du, wer diese Person ist?«
Alle Knoten in meinem Körper schienen sich zu lösen. Meine Augen sahen nicht mehr klar, und Jules’ Gesicht wirkte auf einmal wie ein impressionistisches Gemälde - an den Rändern unscharf und ohne Details. Das Blut strömte
aus meinem Kopf, und ich spürte, wie ich vom Stuhl glitt. Ich hatte dieses Gefühl schon so oft gehabt, dass ich wusste, ich brauchte Eisen. Bald.
Er schlug mir noch einmal
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