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Engel Der Nacht

Engel Der Nacht

Titel: Engel Der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becca Fitzpatrick
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hatte eine schlanke, aber trotzdem sehr weibliche
Figur und konnte nicht mehr als fünf Jahre älter sein als ich.
    »Du musst Nora Grey sein. Ich darf doch ›du‹ zu dir sagen? Du siehst genauso aus wie auf dem Foto in deiner Akte«, sagte sie und begrüßte mich per Handschlag. Ihre Stimme war brüsk, aber nicht schroff. Geschäftsmäßig.
    Indem sie zurücktrat, bedeutete sie mir, in ihr Büro zu treten.
    »Kann ich dir ein Glas Saft anbieten oder Wasser?«, fragte sie.
    »Was ist mit Dr. Hendrickson passiert?«
    »Er hat sich frühpensionieren lassen. Ich wollte diesen Job schon seit einer Weile, deshalb habe ich mich gleich beworben, als die Stelle frei wurde. Eigentlich habe ich an der Florida State studiert, bin aber in Portland aufgewachsen, und meine Eltern leben immer noch hier. Es ist schön, wieder in ihrer Nähe zu wohnen.«
    Ich sah mich in dem kleinen Büro um. Es hatte sich vollkommen verändert, seit ich vor ein paar Wochen das letzte Mal hier gewesen war. Die Schrankwand war jetzt mit akademischen, aber ziemlich gewöhnlich aussehenden gebundenen Büchern vollgestellt, die alle in neutralen Farben gebunden und mit Goldbuchstaben bedruckt waren. Dr. Hendrickson hatte die Regale dazu verwendet, seine Familienfotos auszustellen, aber es gab keine Schnappschüsse von Miss Greenes Privatleben. Derselbe Farn hing am Fenster, aber unter Dr. Hendricksons Fürsorge war er eher braun als grün gewesen. Nach nur wenigen Tagen mit Miss Greene sah er schon richtig keck und lebendig aus. Ein rosa Paisley-Sessel stand ihrem Schreibtisch gegenüber, und in der hinteren Ecke waren noch ein paar Umzugskartons gestapelt.
    »Freitag war mein erster Tag«, erklärte sie, als sie mich
dabei ertappte, wie ich die Umzugskartons ansah. »Ich bin noch am Auspacken. Setz dich.«
    Ich ließ den Rucksack von meiner Schulter gleiten und setzte mich in den Paisley-Sessel. Nichts in dem kleinen Raum ließ Rückschlüsse auf Miss Greenes Persönlichkeit zu. Sie hatte einen Stapel Akten auf ihrem Schreibtisch - nicht ordentlich, aber auch nicht durcheinander - und eine weiße Tasse mit etwas, was nach Tee aussah. Keine Spur von Parfüm oder Raumduft. Ihr Computerbildschirm war schwarz.
    Miss Greene bückte sich vor einem Aktenschrank hinter ihrem Schreibtisch, zog eine neue Aktenmappe heraus und schrieb mit schwarzem Filzstift meinen Namen auf den Reiter. Sie legte sie neben meine alte Mappe auf ihren Schreibtisch, die ein paar Flecken von Dr. Hendricksons Kaffeetasse aufwies.
    »Ich habe das ganze Wochenende damit verbracht, Dr. Hendricksons Akten durchzusehen«, sagte sie. »Nur unter uns - seine Handschrift macht mir Kopfschmerzen, also tippe ich die Akten komplett ab. Es hat mich erstaunt, festzustellen, dass er seine Notizen weder auf der Maschine geschrieben noch einen Computer benutzt hat. Wer schreibt denn heutzutage noch mit der Hand?«
    Sie lehnte sich auf ihrem Drehstuhl zurück, schlug die Beine übereinander und lächelte mich höflich an.
    »Also, warum erzählst du mir nicht ein bisschen über deine Sitzungen mit Dr. Hendrickson? Ich konnte seine Notizen kaum entziffern. Anscheinend habt ihr beiden darüber geredet, wie du zu dem neuen Job deiner Mutter stehst.«
    »So neu nun auch wieder nicht. Sie arbeitet jetzt schon seit einem Jahr.«
    »Dann war sie also vorher Hausfrau und Mutter, richtig? Und nachdem dein Vater gestorben ist, hat sie einen Vollzeitjob angenommen.« Mit zusammengekniffenen Augen starrte
sie auf ein Blatt Papier in meiner Akte. »Sie arbeitet für ein Auktionshaus, stimmt’s? Es sieht mir so aus, als würde sie Grundbesitzauktionen an der ganzen Küste koordinieren.« Sie sah mich über ihre Brille hinweg an. »Da muss sie ja ganz schön oft von zu Hause weg sein.«
    »Wir wollten in unserem Farmhaus bleiben«, sagte ich, wobei meine Stimme einen rechtfertigenden Klang annahm. »Wir könnten die Hypothek nicht bezahlen, wenn sie einen Job hier in der Gegend angenommen hätte.« Meine Sitzungen mit Dr. Hendrickson hatte ich nicht gerade gemocht, aber ich merkte, dass ich ihn dafür hasste, dass er sich hatte pensionieren lassen und mich Miss Greene ausgeliefert hatte. Langsam bekam ich ein Gefühl für sie, und sie schien auf Details zu achten. Ich fühlte, wie es sie dazu drängte, in jeder dunklen Ecke meines Lebens herumzuwühlen.
    »Ja, aber du musst doch sehr einsam sein, ganz allein da draußen in eurem Farmhaus.«
    »Wir haben eine Haushälterin, die jeden Nachmittag bei mir bleibt und

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