Engel für den Duke
eine kleine Stofftasche, die ihr Kostüm enthielt, und Lily nahm sie. „Hast du meine Nachricht erhalten? Du weißt, was du zu tun hast?“
„Ich habe deine Nachricht erhalten.“ Sie hatte Bauchschmerzen vorgetäuscht, um nicht zu dem wöchentlichen Treffen im Red Rooster gehen zu müssen. Sie hatte einfach nicht den Mut aufgebracht, Royal so bald schon gegenüberzutreten.
„Wirf Loomis einen oder zwei Knochen zu“, sagte Jack. „Gib ihm nicht zu viel. Er soll auf dich zukommen.“
Sie nickte. Sie wusste, wie man mit dem Zielobjekt umgehen musste. Nachdem sie einmal angefangen hatte, das Spiel zu spielen, dauerte es nicht lange, bis ihr ihre ungewöhnliche Erziehung wieder einfiel. Sie wusste Bescheid über Loomis Mutter und dass sie Tarotkarten benutzt und die Zukunft vorhergesagt hatte. Sie wusste von der Faszination dieses Mannes für Madam Medela. Sie wusste, was sie tun musste, um sein Interesse zu wecken.
Sie beugte sich vor und gab ihrem Onkel einen Kuss auf die Wange. „Ich muss gehen. Ich möchte nicht, dass man mich vermisst.“
Jack lächelte nur. „Viel Glück, Liebes.“
Aber Jack hatte sie gelehrt, dass dies keine Frage des Glücks war. Es war eine Frage des Geschicks, und sie hatte eine gute Lehrerin gehabt, eine Freundin von Jack, eine Trickbetrügerin namens Sadie Burgess, die Kinder gerngehabt hatte, vor allem einsame kleine Mädchen.
Lily winkte ihm zum Abschied zu, drehte sich um und lief zum Haus zurück, schlüpfte hinein und die Treppe hinauf. Gleich darauf trug sie wieder ihre bunten Seidenröcke und war unterwegs zum Salon.
Die Schwester Lord Marchs, Lady Annabelle Townsend, eine schlanke Frau mit honigbraunem Haar, die Lily schon bei den Nightingales gesehen hatte, wartete bereits auf sie. Aus der Nähe betrachtet war sie sogar noch hübscher, ein feines Gesicht, eine schmale, gerade Nase und blaue Augen.
„Sind Sie bereit?“, fragte Lady Annabelle, und das Funkeln in ihren Augen bestätigte, dass sie genau wusste, was hier vor sich ging. Lady Nightingale war nicht über den Plan informiert, in den ihr Ehemann verwickelt war, aber offensichtlich wusste diese junge Frau Bescheid. Annabelle Townsend schien das aufregend zu finden, offensichtlich war sie keine ängstliche Natur.
Einen Moment lang trat Lily aus ihrer Rolle heraus und sagte: „Vielen Dank, dass Sie uns helfen, Mylady.“
„Für meine Freunde bin ich einfach Anna, und da Sie eine Freundin des Dukes sind, helfe ich mit Vergnügen. Kommen Sie, Madam Tsaya!“
„Ich folge Ihnen überallhin“, erwiderte Lily lächelnd und nun wieder mit passendem Akzent.
Sie gingen durch den Korridor bis zum großen, reich geschmückten Ballsaal, in dem sich die gesellschaftliche Elite drängte. Lily sah Jocelyn und neben ihr den Mann, den sie heiraten würde. Groß und goldhaarig bot der Duke einen herrlichen Anblick, eine Tatsache, die die Hälfte der weiblichen Gäste mit ihren Blicken bestätigte.
Lily war so abgelenkt, dass sie stolperte und vor Verlegenheit ganz rot wurde.
„Alles in Ordnung?“, fragte Lady Annabelle.
Lily brachte ein Lächeln zustande. „Mir geht es gut. Ich bin nur gestolpert.“
Ohne auf den Duke zu achten, dessen Blick jetzt unverwandt auf sie gerichtet war, folgte sie Marchs hübscher Schwester zur Bühne, auf der das Orchester spielte.
„Da wir nicht viel Zeit haben“, sagte die Gastgeberin, „fangen wir gleich an.“ Sie stieg die Treppen zu dem Podest hinauf, Lily an der Hand. Die Musiker hörten auf zu spielen, und es wurde still im Raum.
„Guten Abend, alle miteinander.“ Annabelle lächelte und wartete, bis auch der letzte Besucher verstummt war. „Wie Sie alle wissen, haben wir heute einen besonderen Gast in unserer Mitte. Ich möchte Ihnen Madam Tsaya vorstellen. Wenn Sie Glück haben, sind Sie vielleicht unter jenen, die sie auswählt. Vielleicht wartet eine glückliche Zukunft auf Sie.“
Es wurde applaudiert.
„Es ist mir ein Vergnügen, heute Abend hier zu sein“, sagte Lily. Ihr Blick fiel auf Jocelyn, dann auf Royal, und ein kleines Teufelchen erwachte in ihr zum Leben.
Sie ließ den Blick über die Menge schweifen, ließ sich Zeit, wartete, bis das Interesse geweckt war. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Duke. „Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer bevorstehenden Heirat, Hoheit.“
Die Menge murmelte. Alle drehten sich zu Royal um, sahen ihn neben einer der reichsten Frauen von ganz London stehen und begannen laut zu überlegen, ob die Wahrsagerin wohl
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