Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
Emily dazu sagt. Sie war fest davon überzeugt, daß ihr Vater ihre Mutter ermordet hat. Deshalb hat sie die Tatwaffe versteckt.«
    Fabian zuckte zusammen - er war ganz der aufmerksame, besorgte Vater, der sich Gedanken über die emotionale Labilität seiner Tochter machte. Dann erzählte er uns seine Version der Ereignisse in der Nacht, in der Deirdre ermordet wurde: Er hatte hart an seinem Vortrag gearbeitet, wahrscheinlich hatte er vergessen, daß seine Frau erwähnt hatte, sie wolle in die Stadt; er war froh darüber gewesen, daß Emily sich um ihre Brüder kümmerte; er hatte sich nicht darüber gewundert, als Deirdre nicht nach Hause kam - schließlich hatte sie eine ganze Reihe ehrenamtlicher Tätigkeiten übernommen, derentwegen sie oft noch spät am Abend Termine hatte, besonders wenn es um Unterkünfte für Obdachlose ging; er hatte nicht bemerkt, daß Emily das Haus mitten in der Nacht verlassen hatte.
    Die drei Männer lauschten verständnisvoll. Ich war so müde, daß ich mich kaum noch gerade halten konnte, noch viel weniger war ich in der Lage, bei dem Spiel mitzumachen, das alle hier zu spielen schienen.
    »Vic, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar ich dir bin, daß du meine Kinder gefunden hast«, schloß Fabian. »Ich wünschte, du hättest Emily nie ermutigt, zu dir zu kommen -deswegen ist sie ja erst zu dir ins Büro -, aber ich weiß, daß du nur einem Kind mit großen Problemen helfen wolltest. Und ich wünschte, ich hätte Emilys Zustand in der Nacht, in der Deirdre ... starb ... mehr Aufmerksamkeit geschenkt.« Er warf Terry einen reuigen Blick zu. »Wenn die kleine Tochter langsam zum Teenager heranwächst, nimmt man die täglichen Auseinandersetzungen als Teil der Pubertät hin. Man schenkt den einzelnen Streitereien nicht mehr so viel Beachtung.«
    Vor der Unterredung hatte Fabian herausgefunden, daß er und Terry die einzigen in der Gruppe waren, die Kinder hatten. Sein Lächeln setzte er jetzt als spezielle Form der Kommunikation mit Finchley ein. Terry, der sich Fabians Charme nicht gänzlich entziehen konnte, lächelte schüchtern zurück.
    »Warum meinst du denn, daß Emily sich in jener Nacht besonders aufgeregt hat, Fabian?« unterbrach ich ihre stumme Unterhaltung.
    »Im nachhinein betrachtet haben wir - ihre Mutter und ich - ihr wahrscheinlich zuviel Verantwortung aufgebürdet. Emily hat für ihr Alter immer so reif gewirkt, daß wir sie für eine kleine Erwachsene hielten. Als Deirdre unerwartet zu dem Termin in die Stadt mußte, habe ich Emily gebeten, sie zu vertreten, damit ich mich auf meinen Vortrag konzentrieren konnte.« Er verzog das Gesicht. »Meine Arbeit war mir wahrscheinlich zu wichtig. Möglicherweise hat sich Emily ungerecht behandelt gefühlt. Ich kann sie das jetzt nicht fragen, weil sie nicht mit mir reden will.« Er machte eine mißbilligende Handbewegung. »Sie verdrängt schmerzliche Erinnerungen, die mein Anblick vermutlich in ihr hervorruft. Ich will Ihnen diese Deutung ja nicht in den Mund legen, Dr. Zeitner, aber soweit ich Sie verstanden habe, glauben Sie das doch, oder?« Zeitner räusperte sich. »Emily hat eine rege Phantasie, sie ist ausgesprochen sensibel und sehr einsam. Wir wissen alle, daß ihre Mutter ... gewisse Probleme hatte. Es ist durchaus nachvollziehbar, daß Emily das Gefühl hatte, sie übernehme die Aufgaben ihrer Mutter, auch in sexueller Hinsicht. Wir können uns natürlich nicht sicher sein, ob das der Grund war, warum sie in jener Nacht den Kopf verloren hat - im Moment fällt es ihr schwer, darüber zu reden. Aber ich bin überzeugt, daß sie wieder darüber sprechen kann, wenn sie sich in der richtigen Umgebung befindet und die richtige Hilfe bekommt.«
    »Warum ist sie Ihrer Meinung nach mitten in der Nacht allein in die Innenstadt gefahren?« fragte ich. »Glauben Sie nicht, daß es schon einen ziemlich gewichtigen Grund für sie geben mußte, sich im Dunkeln allein in einen gefährlichen Teil der Stadt zu begeben?«
    Zeitner antwortete: »Das können wir erst sagen, wenn Emily uns wieder genug vertraut, um sich mit uns zu unterhalten.«
    »Wenn Sie ihr genug vertrauen würden, um ihr zuzuhören, würde sie Ihnen vielleicht auch genug vertrauen, um mit Ihnen zu sprechen«, erwiderte ich.
    Zeitner hob die Augenbrauen, um mir auf höfliche Weise seine Verachtung zu zeigen.
    Am liebsten hätte ich ihm den Hals umgedreht. Statt dessen wandte ich mich an Fabian.
    »Emily hat mir erzählt, daß du gern noch zu ihr ins

Weitere Kostenlose Bücher