Engel im Schacht
das Gericht vermutlich verzeihen, daß ich mich nicht mehr an dieses Detail erinnere, Sergeant. Ich hoffe, Sie halten mich auf dem laufenden über den Erfolg Ihrer Ermittlungen, Detective Finchley.«
Fabian und Zeitner verabschiedeten sich. Finchley beugte sich vor und schaltete den Kassettenrecorder aus.
»Das, was sie sagen, klingt ziemlich plausibel, Vic.«
»Ich weiß, Terry. Ein Arzt und ein Anwalt - was für ein achtbares Gespann! Emily hat auch ziemlich plausibel geklungen. Ich hoffe, daß du dich erst mit Schwester Higgins unter hältst, bevor du etwas Voreiliges tust, zum Beispiel Anzeige gegen Emily erstatten.« Terry kniff die Lippen zusammen. »Vergiß die alten Sprüche aus den Siebzigern von wegen alle Bullen sind Schweine, Vic. Ich kann das nicht mehr hören.« »Wieso schenken wir der Geschichte des Mannes viermal soviel Glauben wie der der Tochter?« brach es aus Mary Louise Neely heraus. »Liegt das daran, daß er männlich ist und sie weiblich? Oder daran, daß er erwachsen ist und eine Menge Geld verdient? Würden Sie beide Emily mehr Glauben schenken oder weniger, wenn es sich um eine schwarze Familie handelte, die von der Sozialhilfe lebt?«
Wir zuckten alle erschreckt zusammen, als wir ihre Stimme hörten. Sie hatte sich während des gesamten Gesprächs so still verhalten, daß wir ihre Anwesenheit völlig vergessen hatten.
»Heute wird ziemlich viel über sexuelle Belästigung geschrieben und wie leicht es ist, ein Kind diesbezüglich zu manipulieren«, erwiderte Terry. »Ich habe mich in den letzten Tagen eingehender darüber informiert. Emily Messenger hat zusammen mit einer Frau, die selbst vor einer ganz ähnlichen Situation geflohen ist, eine Woche in den Schächten unter Chicago gehaust. Es ist gut möglich, daß Emilys Geist davon beeinträchtigt worden ist.«
»Genau so würde Zeitner argumentieren«, sagte Neely. »Aber glauben Sie das wirklich? Meinen Sie denn, Vic - Ms. Warshawski - hat sich das, was sie gestern nacht gesehen hat, aus den Fingern gesogen?«
Terry rutschte unsicher auf seinem Stuhl hin und her. »Ich glaube nicht, daß Vic lügt. Aber sie steht selbst unter Streß. Ich würde mich gern mit Anton unterhalten, bevor ich irgendwelche Schlüsse ziehe.«
Ich spürte, wie mir die Zornesröte ins Gesicht schoß, doch bevor ich etwas sagen konnte, hörte ich, wie Mary Louise Neely mit vor Entrüstung zitternder Stimme sagte: »Ich werde bei einer Verhaftung von Emily Messenger nicht mitmachen, Terry. Wenn Sie mich wegen Insubordination melden oder mich Streife fahren lassen wollen in Wentworth, ist mir das auch egal.«
Sie marschierte aus dem Zimme r und knallte die Tür hinter sich zu. Terry und Conrad standen neben dem Schreibtisch wie die Ölgötzen. »Gib dafür bitte nicht mir die Schuld, Terry - ich habe ihr im Hinblick auf Fabian Messenger absolut nichts suggeriert.« Ich klang verbitterter, als ich eigentlich wollte. »Meinst du nicht, daß du dich täuschen könntest?« fragte Conrad. »Vielleicht. Ich täusche mich oft. Aber ich täusche mich nicht in bezug auf die Ereignisse der letzten Nacht. Ich täusche mich auch nicht, was Emilys Aussagen von gestern vormittag angeht. Und ich täusche mich ebenfalls nicht in Deirdre Messenger: Sie hat jemanden in meinem Büro erwartet in der Nacht, in der sie ermordet wurde. Aber auch das wollt ihr mir nicht glauben.
Während ihr zwei euch die Köpfe darüber zerbrecht, ob ihr Emily festnehmen sollt oder nicht, ist da draußen ein Mann unterwegs, der versucht hat, sie umzubringen, sehr wahrscheinlich auf Anweisung von Gary Charpentier, möglicherweise auch von Alec Gantner oder Jasper Heccomb.«
Ich erinnerte mich wieder an das erste Mal, als ich Gary Charpentier gesehen hatte. »Ich habe sogar gehört, wie Jasper Heccomb das mit Gary Charpentier besprochen hat! Er hat was gesagt von wegen den Job >untervergeben<. Dabei ging es um den Mord an Deirdre.«
Sie verstanden nicht, was ich sagen wollte. Nachdem ich ihnen von meiner Begegnung mit Charpentier vor zwei Wochen im Büro von Home Free erzählt hatte, erklärte Finchley, seiner Meinung nach beweise das gar nichts.
Conrad schüttelte den Kopf. »Du bist zu emotional, Vic. Ich habe das Gefühl, daß du versuchst, mich einen Hügel hinunterzujagen, auf dem du selbst nichts zu suchen hast.«
»Ihr kennt Fabian nur als den weltmännischen Juristen. Aber ich habe ihn dreimal im privaten Rahmen ganz anders erlebt. Ich habe gehört, wie er seine Frau geschlagen hat.
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