Engel im Schacht
treffen?«
»Hat das was mit Emily Messenger zu tun?« brummte Murray. »Es gibt Gerüchte, daß sie schon wieder verschwunden ist, aber die Bullen, die Leute vom Krankenhaus und ihr Papi schweigen sich aus. Ich hätte eigentlich wissen sollen, daß du meine beste Quelle bist und bleibst.«
»So diskret waren die Bullen und Papi mir gegenüber nicht - bei mir und meinen Freunden haben sie gestern abend die Wohnung durchsucht. Wundert mich sowieso, daß sie dich nicht auch beehrt haben.«
»Vielleicht wissen die, daß du nicht allzu freundlich mit mir umgehst. Nein, nein, ich nehme alles zurück. Du bist wunderbar. Tut mir leid, das hätte ich jetzt fast vergessen. Hast du die Kleine versteckt?«
»Ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Ich hab' Finchley gesagt, er soll sich auf den Baustellen von Home Free umsehen, aber er hört mir in letzter Zeit nicht mehr richtig zu. Meine Hypothese hat mit Gantner und Heccomb, vermutlich auch mit dem Mord an Deirdre zu tun.«
Er war so aufgeregt über die Aussicht, einen der Gantners dranzukriegen, daß er mich nicht weiter löcherte, wo Emily steckte. Er habe bis halb drei zu tun, erklärte er mir, könne mich aber um drei abholen.
»Die Bullen sind mir auf den Fersen. Ich fahre lieber zum Illinois Center - da kann man an der Michigan Avenue rein und fast überall wieder raus. Treffen wir uns doch am Fairmont Hotel - du kennst doch den Dienstboteneingang am südlichen Wacker Drive, oder?«
»Yes, Ma'am. Die Erkennungsparole lautet: John trägt einen langen Schnurrbart.«
Ich war nur einen halben Häuserblock von der Hochbahn weg. Um Terrys Team die Sache ein bißchen zu erschweren, ließ ich meinen Wagen auf dem Parkplatz gleich neben dem Münzfernsprecher stehen und ging den Diversey Parkway bis zur Sheffield Avenue zu Fuß hinunter, wo ich die alten Stufen zur Bahn hochlief. An der Chicago Avenue winkte ich dann ein Taxi heran, mit dem ich bis Ecke Wacker Drive/Michigan Avenue fuhr.
Das Illinois Center ist über eine Reihe von unterirdischen Passagen mit fast einem Dutzend anderer Gebäude verbunden, darunter auch drei Hotels. Aufgrund der Überschwemmung waren diese Gänge ein paar Tage lang geschlossen gewesen, mittlerweile jedoch wieder geöffnet. Die langen Flure und steilen Rolltreppen erleichterten es mir festzustellen, daß ich allein war. Ich kam genau um drei Uhr am Ausgang an der Fairmont Avenue wieder an die Erdoberfläche.
Murray hielt mir mit großer Geste die Wagentür auf. »Heccomb ist nicht da und wird auch nicht vor fünf zurückerwartet. Ich habe ihn von meinem Autotelefon aus angerufen, während du hergekommen bist. Was sollen wir jetzt unternehmen?« »Machen wir's doch einfach wie die Chicago Bears in ihrer besten Zeit. Wie Fencik und Singletary: Immer druff. Wenn sie keine kaltblütige Verbrecherin ist, bricht sie unter unseren Fragen zusammen.«
Murray grüßte mich mit einem zackigen Salut. »Skrupel ist wohl ein Fremdwort für dich, O-Göttin-der-ich-gehorchen-muß?« »Das Wort hab' ich tatsächlich noch nie gehört.«
Der nächste Schlag
Als wir bei Tish einfielen, saß diese, immer noch mit ihrem formlosen khakifarbenen Pullover, in dem ich sie das letzte Mal gesehen hatte, vor ihrem Computer. »Hallo«, begrüßte ich sie mit meiner fröhlichsten Stimme. »Das ist Murray Ryerson vom Herald-Star. Er schreibt eine Story über Home Free und würde Sie gern interviewen.«
Ihre sonst eher graue Haut nahm einen mahagonifarbenen Ton an, weil sie wütend wurde. »Sie können hier nicht jedesmal reinplatzen, wenn Ihnen der Sinn danach steht. Und Sie können mich auch nicht interviewen. Für alle Pressesachen ist Jasper zuständig.«
»Und das aus gutem Grund.«
Ich holte meine Dietrichsammlung aus der Tasche, und sie riß nur wütend und erstaunt den Mund auf, als ich damit Jaspers Büro aufschloß. Sie streckte die Hand nach dem Telefon aus, doch Murray zog mit einer knappen Entschuldigung den Stecker aus der Wand und stellte den Apparat auf den Boden.
Ich holte ein paar Stühle aus Jaspers Büro. »Wir werden uns länger unterhalten müssen; da wollen Murray und ich es uns bequem machen. Wie gesagt: Es gibt einen Grund, warum Jasper Ihnen verboten hat, mit der Presse zu reden. Er und seine Freunde haben ein paar ziemlich schmutzige Geheimnisse. Und er hat Angst, daß Sie in Ihrer Naivität vielleicht was Belastendes ausplaudern könnten.« Sie war aufgesprungen und boxte nun auf Murray ein, der sich jedoch nicht von der Stelle rührte.
Weitere Kostenlose Bücher