Engel im Schacht
doch noch alles einrenkt, glaubte ich das, was ich Terry gesagt hatte, wirklich. Ich wußte zwar nicht, wo Emily steckte oder was der Schläger hinter der Heizung zu suchen hatte, aber ich war mir ziemlich sicher, daß sie ihre Mutter nicht getötet hatte.
Conrad und ich brachten den Abend doch noch im Cotton Club zu Ende. Während wir uns langsam im Takt der Musik bewegten und ich den Kopf an seine Schulter lehnte, fragte ich mich, welchen Teil meiner Geschichte er Terry Finchley erzählt hatte, um mich in einem menschlicheren Licht erscheinen zu lassen.
Spione
Bevor ich meine Wohnung verließ, rief ich Alice Cottingham in Emilys High-School an. Gestern abend war mir eingefallen, daß das Mädchen sich vielleicht einer anderen Lehrerin anvertraut haben könnte, und das könnte Alice Cottingham möglicherweise für mich herausfinden. Ich erwischte sie, gerade bevor sie in den Unterricht mußte, deshalb war sie ziemlich kurz angebunden. Sie glaubte nicht, daß eine ihrer Kolleginnen eine Schülerin bei sich unterbringen würde, ohne den Eltern Bescheid zu sagen, aber - um mich loszuwerden - erklärte sie sich bereit, nachzufragen, ob irgend jemand von den Kollegen ein besonders enges Verhältnis zu Emily hatte.
Diesmal fand ich direkt vor dem Büro von Home Free eine Parkuhr. Als ich hineinging, saß Tish wieder am Schreibtisch; ihr schmaler Körper verschwand fast unter einem riesigen, khakifarbenen Pullover und einem formlosen Großmutterrock. Sie runzelte die dicken Augenbrauen, als sie mich sah. Ich konnte mich also auf die übliche herzliche Home-Free-Begrüßung gefaßt machen. »Hallo, Tish. V. I. Warshawski. Ich war letzte Woche schon mal da.«
»Ich weiß.« Ihre tiefe Stimme klang nicht gerade so, als habe sie nachts wachgelegen und voll Freude über meinen letzten Besuch nachgedacht.
»Sie wollten eine Besichtigungstour von einigen Ihrer Projekte für mich zusammenstellen, damit ich mir einen Eindruck von ihnen verschaffen kann. Erinnern Sie sich daran auch noch?« Ihr unfreundliches Benehmen reizte mich so, daß ich mit ihr so übertrieben fröhlich redete wie mit einem quengeligen Kleinkind.
Tish deutete auf die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch. »Ich muß das alles noch erledigen, und es wird mir niemand dabei helfen. Ich habe keine Zeit, mich mit unwichtigen Dingen abzugeben.«
»Die Sache ist mir alles andere als unwichtig. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag:
Ich kann Ihnen einen hervorragenden freiwilligen Helfer vermitteln, wenn Sie sich fünf Minuten Zeit nehmen, um mir ein paar Fragen zu beantworten.«
»Was für Fragen?«
»Über Deirdre Messenger.«
Sie starrte den Computer an, auf dem sie gerade ein paar Graphiken bearbeitet hatte, als ich hereingekommen war. Da sie das Gerät durch das Gespräch mit mir eine ganze Weile nicht bedient hatte, ging es jetzt auf Ruhestellung - fröhliche Fischlein schwammen über den Bildschirm.
»Ich kann mich mit Ihnen nicht über Deirdre unterhalten.«
»Wieso, sind das geheime Informationen, die nur ausgewählte Persönlichkeiten erhalten? Soll ich vielleicht Jasper danach fragen?«
»Er will jetzt nicht gestört werden.« Sie warf mir einen wütenden Blick zu.
»Sie haben die Wahl, Tish: Sie oder er. Wenn Sie keine Zeit für mich haben, macht's mir auch nichts aus, mit ihm zu sprechen.«
Ich machte mich auf den Weg zum hinteren Teil des Raumes, zu Jaspers Tür. Tish war so schnell bei mir und hielt mich fest, daß ich nicht einmal mehr Zeit hatte, die Hand auf den Türknauf zu legen. Ich machte mich ohne große Schwierigkeiten los, denn ich war nicht nur stärker als sie und gewöhnt, mich zu wehren, nein, sie war auch selbst überrascht über ihr Handeln.
»Was macht er denn da drin?« erkundigte ich mich mit sanfter Stimme. »Feiert er Orgien?«
Sie wurde puterrot. »Wie können Sie so etwas sagen?«
Ich wußte nicht mehr so recht, ob ich Mitleid mit ihr haben oder zornig sein sollte. »Nun kommen Sie schon, Tish. Sie machen so ein großes Geheimnis aus der Sache, daß ich einfach neugierig werden muß. Ich wollte Ihnen bloß ein paar Fragen über Deirdre Messengers Rolle bei Home Free stellen. Und mich erkundigen, ob Sie als Gegenleistung einen freiwilligen Mitarbeiter brauchen könnten. Aber Sie tun, als sei ich über das Geheimnis des Jahrhunderts gestolpert.«
Sie straffte die Schultern und richtete sich auf. Überrascht stellte ich fest, daß sie größer war als ich, aber sie wirkte wegen ihrer schlechten Haltung gut zehn
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