Engelsauge - Die Jagd beginnt (German Edition)
einen Platz freigelassen.«
»Danke. Wo ist Patrick?«
»Dort«, sie zeigte mit dem Finger auf die vorderen Reihen. Ich erblickte Patrick und seine Familie in der zweiten Reihe, direkt hinter Rubens Familie.
Auch dieses Mal hatte der Pastor eine wundervolle Andacht gehalten, und während am Ende noch die Familie, Verwandten und engsten Freunde hinter dem Sarg hergingen, um Ruben Bestler die allerletzte Ehre zu erweisen, bemerkte ich etliche Meter entfernt einen großen, in schwarz gekleideten Mann, der uns zu beobachten schien. Ich hätte mich gerne noch mehr auf ihn konzentriert, doch nun wurde der Sarg in die Erde gelassen und der Pastor sprach erneut einige Worte. Claire und ich stützten uns gegenseitig und die Trauer war allgegenwärtig, sodass ich mich nicht länger von dem Unbekannten ablenken ließ. Doch als ich Patrick jetzt endlich genauer ansehen konnte, war ich erschrocken. Er wirkte zwar gebrochen, doch seine Gesichtszüge wirkten viel zu hart und er schien zwischen Trauer und blanker Wut hin- und hergerissen. Es bedarf nicht viel Verstand, um zu wissen, was passieren könnte und würde. Ich müsste mich jetzt viel mehr auf ihn konzentrieren, als es mir lieb war, aber die Angst, er würde zu tief graben und sein Leben somit in Gefahr bringen, konnte ich nicht zulassen.
Als wir wieder zurück zu den Autos gingen, erinnerte ich mich an die Person, die uns zu beobachten schien. Doch jetzt war da niemand mehr. Die alte Eiche stand ganz allein am Wegesrand. Die ersten Tropfen fielen vom Himmel und in wenigen Sekunden prasselte ein warmer Frühlingsregen auf uns nieder.
Ich verabschiedete mich noch schnell, ehe ich mich auf den Weg nach Hause machte, um mir ein warmes gemütliches Bad zu gönnen und um mich auf mein morgiges Treffen mit Sealtiel vorzubereiten. Ich hatte mir vorgenommen, die Morde nicht mehr so nahe an mich heranzulassen und so brauchte ich jede Ablenkung- auch wenn dies Training mit Sealtiel bedeutete.
16
Vorbereitungen
»Auf, auf, meine Kleine. Wir haben viel vor.«
Sealtiels Stimme drang durch meinen Kopf. Ich hatte verschlafen. Was ja auch kein Wunder war, nach den letzten Tagen, die alles andere als einfach gewesen waren. Mein Wecker, der tapfer versucht hatte, mich um halb sieben Uhr morgens zu wecken, hatte sein Ende an der Wand gefunden. Was genau so blöd war, denn nun musste ich mir nachher noch einen neuen holen. Ohne Wecker würde ich verschlafen und Sealtiel höchstwahrscheinlich in den Wahnsinn treiben. Ich hüpfte auf einem Bein durch die Haustür, während ich mir an dem anderen freien Fuß den Schuh noch schnell anzog.
»Schon da«, keuchte ich und stellte mich ihm gegenüber.
»Na schön. Für heute lassen wir es ruhig angehen, aber ab morgen müssen wir wirklich richtig loslegen.« Ich nickte und musste ihm auch schon folgen: joggend!
»Und wieso laufen wir jetzt? Und wohin eigentlich?« Ich war zu lange nicht mehr richtig lange gelaufen und keuchte nach wenigen Minuten.
»Konzentriere dich auf deine Atmung, Enya und sei still.«
Ich folgte ihm nicht gerade still, vielmehr keuchend und schnaubend, aber ich schaffte es tatsächlich, irgendwie mit ihm noch durch den halben Wald zu laufen, ehe wir an einer kleinen Lichtung ankamen und Sealtiel tatsächlich stehen blieb.
»Hier, trink was.« Er gab mir eine Flasche Wasser, die meine trockene und gereizte Kehle dankend entgegennahm.
»So, und nun musst du mir als Erstes zeigen, wie du fliegen kannst.«
»Lass mich bitte ... Nur kurz ... verschnauben. Bin gleich ... soweit«, keuchte ich, bekam meine Atmung aber immer mehr unter Kontrolle.
»Kondition ist ebenso wichtig, wie deine anderen Fähigkeiten. Und nun, bitte.«
Ich zeigte ihm, wie ich meine Flügel ausbreitete und vom Boden abheben konnte. Ich flog ein paar kleine Runden, ehe ich wieder Boden unter den Füßen hatte. Wirkliche Begeisterung sah allerdings anders aus, wie ich fand.
»Bist du schon mal mit Tempo vom Boden hoch?«
»Einmal, aber da hat mir Jadon geholfen.«
»Schön. Dann beginnen wir einfach.«
Er zeigte mir, wie ich es besser machen sollte und ich machte es ihm nach. Dachte ich anfangs, ich sei eine durchaus gute Fliegerin, so wurde ich jetzt eines Besseren belehrt. Es gab anscheinend unterschiedliche Arten des Fliegens. Leise und langsam oder auch schnell. Wobei sich das ‘schnell’ nicht nur auf das Tempo bezog. Besonders das leise schleichende Fliegen, möglichst noch knapp über dem Boden fand ich besonders schwer. Es war
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