Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
Einen Moment später kam Lulu mit einem kleinen, in Palmblätter gewickelten Päckchen wieder heraus. Sie packte ein Werkzeug aus, das wie ein Holzkamm aussah. Die Zinken glänzten in der Sonne, als seien sie nadelscharf. Daniel legte sich auf die Matratze und sah zu, wie Lulu den Kamm in eine große, flache Muschel tauchte, die mit schwarzem Pulver gefüllt war.
Lulu gab ihm einen schnellen Kuss, dann fing sie an.
Sie begann an seinem Brustbein, wo sie den Kamm in seine Haut presste. Sie arbeitete schnell, drückte fest und flink und hinterließ jedes Mal, wenn sie den Kamm bewegte, eine Spur schwarzen Pigments auf seiner Haut. Luce konnte allmählich ein Muster erkennen: Ein kleiner Brustpanzer im S chachbrettmuster. Er würde sich über seinen ganzen Ober körper erstrecken. Luce war nur ein einziges Mal in einem Tätowierstudio gewesen, in New Hampshire mit Callie, die ein winziges rosafarbenes Herz auf der Hüfte wollte. Das Ganze hatte weniger als eine Minute gedauert und Callie hatte die ganze Zeit über gebrüllt. Daniel jedoch lag still da, gab keinen Laut von sich und wandte nicht eine Sekunde die Augen von Lulu ab. Es dauerte lange, und Luce rann der Schweiß den Rücken hinab, während sie zuschaute.
»Na? Was sagst du dazu?« Bill stieß sie an. »War es zu viel versprochen, dass ich dir ihre Liebe zeigen würde?«
»Klar, sie sehen schon verliebt aus.« Luce zuckte die Achseln. »Aber …«
»Aber was? Hast du eine Ahnung, wie schmerzhaft das ist? Sieh dir den Burschen doch an. Er lässt eine Tätowierung wie das Streicheln einer sanften Brise aussehen.«
Luce rutschte auf dem Ast herum. »Ist das die Lektion hier? Schmerz ist gleich Liebe?«
»Sag du es mir«, erwiderte Bill. »Es überrascht dich vielleicht, es zu hören, aber die Damen stehen nicht gerade vor Bills Tür Schlange.«
»Ich meine, wenn ich mir Daniels Namen auf den Körper tätowieren ließe, würde das bedeuten, dass ich ihn noch mehr liebe als ohnehin schon?«
»Es ist ein Symbol, Luce.« Bill stieß einen heiseren Seufzer aus. »Du nimmst das zu wörtlich. Sieh es mal so. Daniel ist der erste gut aussehende Junge, den Lulu je gesehen hat. Bis er vor einigen Monaten ans Ufer gespült wurde, bestand die ganze Welt dieses Mädchens aus ihrem Vater und ein paar fetten Eingeborenen.«
»Sie ist Miranda«, meinte Luce und dachte an die Liebesgeschichte aus Der Sturm von Shakespeare, das sie in der zehnten Klasse gelesen hatte.
»Wie überaus kultiviert von dir!« Bill schürzte anerkennend die Lippen. »Sie sind wie Ferdinand und Miranda: Der schöne Fremde strandet an ihren Ufern …«
»Also war es für Lulu natürlich Liebe auf den ersten Blick«, murmelte Luce. Genau davor hatte sie Angst gehabt. Vor der gleichen gedankenlosen, automatischen Liebe, die ihr in Helston zu schaffen gemacht hatte.
»Genau«, bestätigte Bill. »Sie hatte keine andere Wahl, als sich in ihn zu verlieben. Aber was hier interessant ist, ist Daniel. Verstehst du, er brauchte ihr nicht beizubringen, wie man ein Segel webt und näht, er musste das Vertrauen ihres Vaters nicht gewinnen, indem er Fisch für ein Vierteljahr zum Trocknen brachte, oder, Beispiel C« – Bill deutete auf das Paar am Strand – »zustimmen, seinen ganzen Körper tätowieren zu lassen, wie es hier ihrer Sitte entspricht. Es hätte genügt, wenn Daniel einfach nur aufgetaucht wäre. Lulu hätte ihn trotzdem geliebt.«
»Er tut es, weil …«, überlegte Luce laut. »Weil er sich ihre Liebe verdienen will. Weil er sonst nur ihren Fluch ausnutzen würde. Weil seine Liebe zu ihr, egal an welchen Kreislauf sie gebunden sind, … echt ist.«
Warum war Luce dann aber nicht restlos überzeugt?
Am Strand setzte Daniel sich auf. Er fasste Lulu an den Schultern und begann, sie zärtlich zu küssen. Seine Brust blutete vom Tätowieren, aber keiner von beiden schien es zu bemerken. Ihrer beider Lippen öffneten sich kaum und sie ließen einander keine Sekunde aus den Augen.
»Ich will jetzt gehen«, sagte Luce plötzlich zu Bill.
»Echt?« Bill blinzelte und fuhr vom Ast hoch, als hätte sie ihn erschreckt.
»Ja, echt. Ich habe bekommen, wofür ich hergereist bin, und jetzt kann es weitergehen. Jetzt gleich.« Sie versuchte, ebenfalls aufzustehen, aber der Ast schwankte unter ihrem Gewicht.
»Ähm, na schön.« Bill fasste sie am Arm, um sie zu stützen. »Wohin?«
»Ich weiß es nicht, aber wir sollten uns beeilen.« Die Sonne versank hinter ihnen am Himmel und zog die Schatten
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