Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
die Engel gegen die Outcasts kämpften. Was war mit Callie geschehen, nachdem Luce gegangen war? Wo waren die Outcasts jetzt? Wie sollte Luce Callie oder ihren Eltern nur erklären, was geschehen war – das hieß, falls Luce jemals in ihren Garten und in ihr eigentliches Leben zurückkehrte?
Denn Luce wusste jetzt, dass sie nicht eher in dieses Leben zurückkehren würde, bis sie herausgefunden hatte, wie sie verhindern konnte, dass es endete. Bis sie das Rätsel dieses Fluches gelöst hatte, der sie und Daniel dazu zwang, dieselbe Liebesgeschichte, die unter einem schlechten Stern stand, wieder und wieder zu durchleben.
Es musste einen Grund geben, weshalb sie hier in diesem Theater war. Ihre Seele hatte sie hierher gezogen, doch warum?
Sie schob sich in die Menge und drängte sich weiter, bis sie die Bühne sehen konnte. Die Bretter waren mit einer dicken, hanfähnlichen Matte bedeckt worden, die wie wildes Gras aussehen sollte. Zwei Kanonen in Originalgröße standen wie Wachposten am rechten und linken Rand der Bühne und eine Reihe von Orangenbäumen in Töpfen säum te die hintere Wand. Nicht weit von Luce entfernt führte eine wacklige Holzleiter zu einem Raum, der mit Vorhängen abgetrennt war: Es war die Garderobe – sie erinnerte sich daran von dem Schauspielkurs, den sie zusammen mit Callie belegt hatte –, wo die Schauspieler ihre Kostüme anzogen und sich auf ihre Szenen vorbereiteten.
»Warte!«, rief Bill, als sie rasch die Leiter hinaufkletterte.
Der Raum hinter dem Vorhang war klein, eng und schwach beleuchtet. Luce kam an Stapeln von Manuskripten und offenen Kleiderschränken voller Kostüme vorbei und bestaunte eine gewaltige Löwenkopfmaske und Reihen von goldenen und samtenen Umhängen an Wandhaken. Dann erstarrte sie: Mehrere Schauspieler standen in unterschiedlichen Stadien der Bekleidung im Raum – Jungen mit halb zugeknöpften Gewändern, Männer, die ihre braunen Lederstiefel schnürten. Glücklicherweise waren die Schauspieler damit beschäftigt, sich das Gesicht zu pudern und hektisch ihre Zeilen zu proben, sodass der Raum von laut vorgetragenen kurzen Passagen des Theaterstücks erfüllt war.
Bevor auch nur einer der Schauspieler aufschauen und sie sehen konnte, flog Bill an Luce’ Seite und schob sie in einen der Kleiderschränke. Gewänder schlossen sich um sie herum.
»Was soll das?«, fragte sie.
»Darf ich dich daran erinnern, dass du in einer Zeit Schauspieler warst, in der es keine Schauspielerinnen gab.« Bill runzelte die Stirn. »Als Frau hast du hier nichts zu suchen. Nicht dass dich das aufgehalten hätte. Dein früheres Ich hat einige Risiken in Kauf genommen, um eine Rolle in Alles ist wahr zu bekommen.«
» Alles ist wahr ?«, wiederholte Luce. Sie hatte gehofft, dass sie zumindest den Titel kennen würde. Doch dem war leider nicht so. Sie spähte aus dem Kleiderschrank in den Raum.
»Du kennst das Stück als Heinrich VIII .«, erklärte Bill und riss sie am Kragen zurück. »Aber hör zu: Warum, glaubst du, würde dein früheres Ich lügen und sich verkleiden, um eine Rolle in …«
»Daniel.«
Er war gerade in die Garderobe getreten. Die Tür zum Innenhof draußen stand noch immer hinter ihm offen, er hatte die Sonne im Rücken. Daniel kam allein, vertieft in ein handgeschriebenes Rollenheft, und nahm die anderen Schauspieler um sich herum kaum wahr. Er sah anders aus als in ihren sämtlichen anderen Leben. Sein blondes Haar war lang und ein wenig gewellt und er hatte es im Nacken mit einem schwarzen Band zusammengebunden. Außerdem trug er einen sauber gestutzten Bart, der eine Spur dunkler war als das Haar auf seinem Kopf.
Luce verspürte den Drang, seinen Bart zu berühren, sein Gesicht zu streicheln und ihm mit den Fingern durch das Haar zu fahren und an seinem Nacken entlang und jeden Teil von ihm zu berühren. Sein weißes Hemd stand offen und darunter zeichneten sich deutlich seine Brustmuskeln ab. Er trug schwarze Pluderhosen und kniehohe schwarze Stiefel.
Als er näher kam, begann ihr Herz heftiger zu schlagen. Das Lärmen der Menge unten im Hof trat in den Hintergrund. Der Schweißgeruch der Kostüme im Kleiderschrank verschwand. Es gab nur das Geräusch ihres Atems und seiner Schritte, die auf sie zukamen. Sie trat aus dem Schrank.
Bei ihrem Anblick leuchteten Daniels gewittergraue Augen violett auf. Er lächelte überrascht.
Sie konnte nicht länger an sich halten. Sie stürzte auf ihn zu, vergaß Bill, vergaß die Schauspieler, vergaß
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