Engelsfluch
sich an der Kaffeemaschine zu schaffen, drehte sich dann zu ihm um und sagte: »Wir kennen uns zwar kaum, aber Elena hat mir so viel von Ihnen erzählt, dass ich vorschlage, wir duzen uns.«
»Ja, sicher«, kam es zögernd von Enrico, der sich von dieser Charmeoffensive überrollt fühlte. Hatte Elena ihrem Freund etwa aufgetragen, besonders nett zu ihm zu sein?
»Willst du mir von deinen Erlebnissen in der Toskana erzählen, während wir auf den Kaffee warten, Enrico?«
»Deshalb bin ich hier. Aber du wirst vieles schon von Elena wissen. Besser, du fragst mich, was dich interessiert.«
»Einverstanden«, sagte Alexander und begann mit seinen Fragen, die sich vorwiegend um Enricos Erlebnisse während Elenas Bewusstlosigkeit drehten. Besonders interessiert war der Exgardist an dem Einsiedler und seinen heilenden Kräften. Als Alexander den Kaffee eingoss, stellte Enrico eine Gegenfrage:
»Sind die ungewöhnlichen Fähigkeiten des Einsiedlers mit denen des Papstes zu vergleichen?«
»Im Ergebnis mit Sicherheit«, antwortete Alexander und setzte sich wieder an den kleinen Küchentisch. »Interessanter finde ich die Frage, woher dieser Angelo seine heilende Gabe hat.« Enrico schüttelte leicht den Kopf.
»Was hast du?«, fragte sein Gegenüber.
»Wir sind zwei erwachsene Männer, nicht gerade mit Dummheit gesegnet, und hier sitzen wir und unterhalten uns über mysteriöse heilende Kräfte so selbstverständlich wie über das Wetter.«
»Du hast doch selbst erlebt, wie der Einsiedler mit seinen Kräften Elena gerettet hat. Worüber ich verdammt froh bin! Und ich war Zeuge, wie der Papst einer gelähmten Frau aus dem Rollstuhl half.«
»Stammt Papst Custos wirklich von Jesus ab?«, fragte Enrico zweifelnd.
»Ich glaube ihm das. Warum sollte er lügen?«
»Vielleicht, um ein besonders glaubwürdiger Papst zu sein.«
»Du bist aber sehr misstrauisch, Enrico!«
»Ich bin Jurist und damit gewohnt, sowohl von Prozessgegnern wie auch von den eigenen Mandanten mit Lügen gefüttert zu werden.«
»Ich habe Papst Custos als klugen und ehrenwerten Mann kennen gelernt. Er hat mir nie einen Grund gegeben, an ihm zu zweifeln. Sprechen wir lieber von den Ereignissen in Borgo San Pietro und Pescia. Auch du sollst über die heilende Kraft verfügen.«
»So hat es Angelo gesagt.«
Enrico betrachtete seine Hände. Die roten Flecken waren fast vollständig verblasst.
»Was ist mit deinen Händen?«
Enrico erzählte ihm von den Flecken, die bei Angelo noch ausgeprägter gewesen waren.
»Wie Wundmale«, meinte Alexander.
»Ja, wie Wundmale«, bestätigte Enrico und dachte zum wiederholten Mal an das Bildnis in der Kirche San Francesco.
»Früher hast du das nicht gehabt?«, setzte Alexander die Fragestunde fort.
»Nein. Und ich hatte auch keine Ahnung, dass ich über irgendwelche heilenden Kräfte verfüge, falls es denn stimmt.«
»Warum sollte der Einsiedler lügen? Elenas Heilung beweist, dass er alles andere ist als ein Scharlatan.«
Alexander bat Enrico, sich Rosalia Baldanellos Zeitungsartikel ansehen zu dürfen. Enrico nahm den Schuhkarton aus seiner Reisetasche und stellte ihn mitten auf den Tisch. Alexander überflog die Artikel und murmelte:
»Seltsam, sehr seltsam. Offenbar hat sich deine Großtante für Päpste interessiert.«
»Besonders für die heilenden Kräfte von Papst Custos«, ergänzte Enrico.
»Aber was hat das alles mit dem Gegenpapst zu tun?«
»Vielleicht gar nichts. Vielleicht hat sie die Berichte über ihn nur gesammelt, weil er aus ihrem Heimatdorf kommt.«
»Dafür interessiert sich eine todkranke Frau?«
»Wenn sie ans Bett gefesselt war, hatte sie kaum was anderes zu tun.«
»Möglich«, sagte Alexander und setzte den Deckel wieder auf den Schuhkarton. »Darf ich das bis morgen behalten und mir Kopien davon machen? Du übernachtest doch in Rom oder?«
Enrico grinste. »Eure Zeitung spendiert mir eine Übernachtung. Ich wohne im Hotel ›Turner‹.«
Alexander stand auf und streckte zur Verabschiedung seine Hand aus. »Dann komme ich morgen Vormittag ins ›Turner‹
und bringe dir den Karton zurück. Sagen wir gegen zehn?«
»Ist mir recht«, erwiderte Enrico, während er aufstand und die Hand ergriff. Er fühlte sich von Alexanders freundlichem Rauswurf etwas überrumpelt.
Alexander schien seinen missmutigen Blick zu bemerken und sagte: »Tut mir Leid, dass ich jetzt keine Zeit mehr habe. Ein dringender Termin. Aber ich rufe dir ein Taxi.«
Das Taxi hielt ein paar Häuser
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