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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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erwacht ist und noch viele Jahre gelebt und Kinder gezeugt hat, ist nicht mit dem vereinbar, was ihnen in Kirche, Schule und Familie über Jahrzehnte eingetrichtert wurde. Es ist ein Unterschied, ob man Jesus Christus als eine hehre Heiligenfigur aus dem Religionsunterricht betrachtet oder als den Menschen aus Fleisch und Blut, der er gewesen ist.«
    »Aber wenn das alles wahr ist, wenn er nicht für unsere Sünden gestorben ist, wie können Sie Jesus dann noch als Erlöser bezeichnen?«
    »Auch wenn er nicht für unsere Sünden gestorben ist, er war nahe dran und bereit dazu. Er hat sich für uns ans Kreuz schlagen lassen. Aber das ist nicht das eigentlich Wichtige. Sein Leben und Wirken, sein Denken und das Beispiel, das er uns gegeben hat, sollten für uns zählen. Er hat sein Leben dem allmächtigen Vater im Himmel geweiht, und es ist gleich, ob er dieses Leben einer unbefleckten Empfängnis verdankt oder nicht.«
    »Und Sie, Heiligkeit, sind wirklich ein Nachfahre von Jesus Christus?«

    »Davon gehe ich aus. Und nach allem, was ich von Ihnen weiß, Enrico, gehören auch Sie zu uns. Hat Ihre Mutter Ihnen nie etwas von einer besonderen Gabe gesagt?«
    »Nein, nie. Und ich weiß auch nichts davon, dass meine Mutter über solch eine Gabe verfügt hat.«
    »Sie muss. Woher sonst sollen Sie die heilende Kraft haben?«
    »Vielleicht von meinem Vater.«
    »Aber der war Deutscher und kam nicht aus Borgo San Pietro. Nur wenn Ihre Mutter zu den Auserwählten gehörte, könnte das seltsame Verhalten von Pfarrer Umiliani zumindest ansatzweise erklärt werden.«
    »Es gibt noch eine andere Erklärung«, sagte Enrico und berichtete dem Papst von seinem wahren – unbekannten Vater.
    Offenbar war Custos über diese Mitteilung erstaunt.
    Schweigend saß der Papst neben Enrico auf der Bank und blickte auf die Vatikanischen Gärten hinaus. In dieser Gesprächspause wurde Enrico das Absurde seiner Situation bewusst. Vor wenigen Tagen noch war er einer jener Menschen gewesen, die manche Pfarrer treffend als U-Boot-Christen bezeichneten. Sie tauchten allenfalls an Ostern und an Weihnachten in der Kirche auf, weil es in der Familie Brauch oder weil es einfach stimmungsvoll war, zahlten brav ihre Kirchensteuer und hatten mit der Religion ansonsten herzlich wenig am Hut. Schon das Erlebnis in der Kirche San Francesco in Pescia, als er zu beten – zu glauben – begonnen hatte, war für ihn etwas gewesen, mit dem er nicht gerechnet und das er noch nicht verarbeitet hatte Ihm fehlte in diesen aufregenden Tagen schlichtweg die Zeit sich mit Gott und damit, was Gott ihm bedeutete, auseinander zu setzen. Aber er spürte, dass sein Gebet in San Francesco nicht allein der Angst um Elena entsprungen, sondern dass es tiefer in ihm verwurzelt war, in einem Bereich seines Denkens und Fühlens, dem er bislang keine Beachtung geschenkt hatte. Jetzt aber auch noch neben dem Papst zu sitzen und von ihm zu hören, dass nicht nur der Heilige Vater, sondern auch er selbst ein Nachfahre von Jesus sei, war eine Erfahrung, die er mit Worten nicht beschreiben konnte. Hätte irgendein anderer Mensch auf diesem Planeten ihm dasselbe eröffnet, hätte er es für eine Spinnerei oder für einen sehr dummen Scherz gehalten. Aber Papst Custos hatte nicht gescherzt, und Enrico fand keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Mehr noch, was er in Pescia mit Angelo erlebt hatte, schien die Worte des Papstes zu bestätigen.
    Custos wandte sich nach langen Minuten des Schweigens wieder Enrico zu und sagte: »Das wirft ein ganz neues Licht auf Ihre Herkunft. Wir sollten unbedingt herausfinden, wer Ihr Vater ist.«
    »Nichts lieber als das, aber offenbar ist auch nichts schwieriger als das. Schon über die Familie meiner Mutter wollte mir in Borgo San Pietro niemand etwas sagen, geschweige denn über meinen Vater. Wozu meine Erkundigungen in dem Bergdorf geführt haben, ist Ihnen ja bekannt.«
    »Vielleicht hängt das eine mit dem anderen zusammen. Der Pfarrer von Borgo San Pietro wollte Ihnen eventuell deshalb nichts über Ihre Familie sagen, weil er nicht wollte, dass Sie mehr über Ihren Vater herausfinden.«
    »Mag sein, aber wie bringt uns das weiter?«
    »Ich bin leider nicht Pater Brown«, seufzte Custos. »Sie haben in Borgo San Pietro wirklich nicht den geringsten Hinweis auf Ihren Vater erhalten?«
    Nach kurzem Überlegen antwortete Enrico: »Einen Hinweis kann man es wohl kaum nennen, aber ich hatte ein seltsames Erlebnis.« Er erzählte von dem Besuch bei

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