Engelsfluch
Schnüffelei auf! Sonst droht dir ernste Gefahr.«
»Du hast mich rufen lassen, um mir zu drohen, Vater?«
Markus Rosin schüttelte den Kopf. »Du missverstehst mich.
Es ist keine Drohung, sondern eine Warnung. Mich hat niemand beauftragt, mit dir zu sprechen, und niemand weiß, was ich dir sage.«
»Das macht mich fast ein wenig froh. Es zeigt mir, dass dir noch etwas an mir liegt.«
»Heißt es nicht, Blut sei dicker als Wasser? Ich habe festgestellt, dass da etwas dran ist.«
»Also bist du in dich gegangen?«, fragte Alexander hoffnungsvoll. »Siehst du endlich ein, dass du einen falschen Weg beschritten hast?«
»Keineswegs. Dass ich hier mit dir spreche, bedeutet nicht, dass ich alles über den Haufen werfe, an das ich jahrzehntelang geglaubt, für das ich gearbeitet und gelebt habe. Aber ich will nicht, dass du stirbst. Hör auf, diesen Leuten nachzuspüren, Alexander!«
»Wem soll ich nicht nachspüren?«
Sein Vater schwieg, als sei Alexanders Frage an dem schwarzen Glas der Sonnenbrille abgeprallt.
»Wie soll ich auf mich aufpassen, wenn ich nicht weiß, vor wem ich mich in Acht nehmen soll?«, versuchte Alexander es noch einmal.
»Ich sitze nicht hier, um jemanden zu verraten. Ich will dich auch nicht hinters Licht führen, um dich dadurch von deinen Nachforschungen abzubringen. Nimm meine Warnung bitte ernst, Alexander! Jemand, dem du vertraust, wird dich in eine Falle locken. Beende deine Recherchen über die ermordeten Priester, oder …«
»Oder?«, fragte Alexander, als sein Vater plötzlich die Lippen aufeinander presste, als habe er schon zu viel gesagt.
Markus Rosin atmete tief durch, bevor er langsam und leise sagte: »Oder du wirst sterben!«
Das Reisebuch des Fabius Lorenz Schreiber, verfasst
anlässlich seiner denkwürdigen Reise nach Oberitalien im
Jahre 1805
Fünftes Kapitel – Die verschüttete Stadt
Noch heute, Jahre später, da ich all dies zu Papier bringe, fehlen mir die rechten Worte, um zu beschreiben, was ich durch einen bloßen Zufall unweit des Bergdorfs Borgo San Pietro entdeckte. Das Loch im Erdreich, durch das Maria und ich in die Tiefe gestürzt waren und das sich als Teil eines unterirdischen Ganges entpuppt hatte, gehörte zu einer verzweigten Anlage, die sich bis weit in den dichten Wald hinein zu erstrecken schien.
Eine ganze antike Stadt lag unter dem dichten Wald verborgen, verschüttet unter der Erde. Ungefähr zweitausend Jahre zuvor musste ein Erdrutsch von den umliegenden Bergen diese Siedlung verschlungen haben. Und was das Wichtigste war, mein anfänglicher Eindruck bestätigte sich: Die Gebäudereste und die Artefakte, die wir fanden, waren eindeutig etruskischen Ursprungs. Auffallend häufig stießen wir auf Abbildungen von Männern mit Engelsflügeln wie auf jener Vase, die Elisa Bonaparte mir gezeigt hatte. Ein wiederkehrendes Motiv etruskischer Kunst, über dessen Bedeutung ich mir ebenso wenig klar war wie alle anderen Wissenschaftler, die sich mit dieser alten Kultur beschäftigten. Zweifellos hatten wir das sagenhafte etruskische Heiligtum aufgespürt, das Elisa so sehr am Herzen lag.
Die Größe der Stadt und der Umstand, dass es zu einer großflächigen Ausgrabung der Rodung eines beträchtlichen Waldstücks bedurfte, machte das Anwerben einer großen Zahl von Hilfskräften notwendig. Aber die Bewohner von Borgo San Pietro gingen uns nach wie vor aus dem Weg, und aus Lucca weitere Soldaten anzufordern war angesichts der Bedrohung Oberitaliens durch die Österreicher aussichtslos. Unsere kleine Soldatentruppe mühte sich nach Kräften ab, doch auch nach drei Tagen hatten wir nur ein bescheidenes Stück Buschwerk entfernt und den unterirdischen Gang lediglich um ein kleines Stück weitergetrieben.
Am Morgen des nächsten Tages bemerkte ich, dass sich die Hälfte der Soldaten mit ihren Musketen abmarschbereit machte.
Als Hauptmann Lenoir sich an ihre Spitze setzen wollte, lief ich eilig zu ihm und fragte ihn, was er vorhabe.
Er zeigte in die Richtung der Ausgrabungsstätte. »Meine Männer mühen sich dort ab, aber es führt zu nichts. Ich führe jetzt diesen Trupp nach Borgo San Pietro, und wir bringen jeden Dorfbewohner mit, der auch nur einen Stein hochheben kann.«
»Nein, nicht mit Gewalt!«, widersprach ich.
»Anders wird es kaum gehen. Die Dorfbewohner meiden uns wie der Teufel das Weihwasser.«
»Wir brauchen Helfer, sicherlich, aber freiwillige. Ich verbiete Ihnen jegliche Gewaltanwendung!«
»Wie wollen Sie das tun? Diese
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