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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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augenscheinlich nicht benutzt, und er war gestern zuletzt an der Rezeption gesehen worden.
    Alexander war alarmiert gewesen. Auf einmal war die Trauer um den Verlust seines Vaters zweitrangig geworden, verdrängt durch die Sorge um Elena. Nun hoffte er, sie in Borgo San Pietro zu finden. Falls nicht, war er mit seiner Weisheit am Ende. Die Sondersendung im Radio über die Katastrophe am Golf von Neapel erweckte wieder seine Aufmerksamkeit, als der Papst erwähnt wurde. Er drehte den Lautstärkeregler auf und hörte gespannt zu.
    »… ist jener Mann, der als Gegenpapst Lucius bekannt wurde und eigentlich Tomás Salvati heißt, in Neapel mit einer Äußerung vor die Presse getreten, die äußerst zwiespältig aufgenommen wurde. Seine Gegner haben ihm prompt vorgeworfen, das Unglück etlicher tausend Menschen für seine eigenen Zwecke auszubeuten und die Opfer des Erdbebens zu verhöhnen. Eine Stellungnahme von Papst Custos, der bei dem Erdbeben leicht verletzt wurde, steht noch aus. Wir bringen Ihnen jetzt die Äußerung von Lucius IV. im Originalton, möchten aber darauf hinweisen, dass wir uns mit dem Inhalt nicht identifizieren …«
    Der Regen wurde heftiger und trommelte auf den VW.
    Alexander drehte den Lautstärkeregler noch weiter auf, um die Ansprache des Gegenpapstes nicht zu verpassen. Als Lucius zu sprechen begann, schwangen Ernst und Besorgnis in seiner Stimme mit. Es war eine Stimme, die Alexander sofort in den Bann zog.
    »Meine Söhne und Töchter, Christen, Mitmenschen, hört meine Worte und nehmt sie euch zu Herzen. Aber fürchtet euch nicht, denn ich spreche zu euch, um Gutes zu bewirken. Ein schreckliches Unheil hat diese Stadt und das Land ringsum verwüstet. Die Wissenschaftler rätseln, was das Unglück ausgelöst haben könnte, aber sie haben noch nichts Greifbares gefunden. Das ist kein Wunder, denn Gott kann man nicht mit wissenschaftlichen Apparaten messen. Gott muss man erfühlen, und man muss an Ihn glauben. Das Einzige, was wir von Ihm sehen und hören können, sind Seine Zeichen. Ein solches Zeichen hat Er uns gestern gesandt. Ganz recht, Gott hat das Verhängnis über uns kommen lassen als Strafe für den Frevel, den die Kirche in Rom unter der Führung des Mannes, der sich Papst Custos nennt, begangen hat. Jetzt ist dieser Custos sogar hierher gekommen, nach Neapel, um sich gegen unsere Heilige Kirche des Wahren Glaubens zu stellen, die noch jung ist und doch die althergebrachten Werte vertritt. Werte, die von Custos und der römischen Kirche mit Füßen getreten werden und die er hier in Neapel vollends ausmerzen will. Gott aber steht auf unserer Seite und wendet sich gegen den falschen Papst. Als Warnung hat Er uns vor zwei Tagen das Unwetter gesandt, gerade zu der Stunde, als Custos hier eingetroffen ist. Der aber hat die Warnung in den Wind geschlagen, und so sandte der Herr eine zweite Warnung. Viele Menschen mussten sterben wegen Gottes Zorn, aber noch immer weilt Custos hier in Neapel. Erst wenn er die Stadt verlassen hat, wird wieder Ruhe und Frieden einkehren. Und erst wenn er seinen Irrweg eingesehen und sein falsches Pontifikat niedergelegt hat, wird Gott ganz und gar mit uns versöhnt sein.«
    Alexander war angesichts dieser Worte so perplex, dass er fast eine scharfe S-Kurve übersehen hätte, die sich ohne Vorwarnung vor ihm auftat. Im letzten Augenblick bremste er den Polo ab und konnte verhindern, dass der Wagen in das dichte Unterholz rutschte, das die Straße zu beiden Seiten säumte. Was der Gegenpapst über die Katastrophe von Neapel gesagt hatte, klang tatsächlich wie eine Verhöhnung der Erdbebenopfer. Vor allem klang es vollkommen absurd: ein Gott, der Hunderte von Unschuldigen tötete, nur um Custos zur Abreise zu bewegen? Alexander hätte die Ansprache als plumpe, überzogene Propaganda abgetan, wäre nicht jener tiefe Ernst gewesen, der in jedem Satz des Gegenpapstes mitschwang. Salvati schien wirklich zu glauben, was er da sagte, oder aber er war ein begnadeter Schauspieler. Ging man von der ersten Variante aus, stellte sich die Frage, wie der Gegenpapst zu seiner aberwitzigen Theorie über das Erdbeben gekommen war. Im Radio gab inzwischen ein renommierter Theologe aus Bologna einen ausführlichen Kommentar zu der Ansprache ab, konnte aber letztlich auch nur dieselben Mutmaßungen anstellen wie Alexander.
    Als Borgo San Pietro vor ihm auftauchte, dachte Alexander an Elenas Erlebnisse in diesem Dorf. Er war sich so gut wie sicher, dass sie nach dem Verlassen

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