Engelsfluch
des Krankenhauses hierher zurückgekehrt war. Und er fragte sich, ob sie damit einen schlimmen Fehler begangen hatte. Die Mauern des Bergdorfes wirkten so abweisend, wie Elena sie in einem ihrer Telefonate geschildert hatte. Vor dem Dorf lag ein von Buschwerk umgebener Parkplatz, auf dem etwa fünfzehn Autos standen.
Alexander stellte seinen Wagen am Rand des Parkplatzes ab und stieg aus. Regen und ein frischer Wind peitschten ihm ins Gesicht. Er schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch und sah sich auf dem Parkplatz um, aber einen Mietwagen konnte er nicht entdecken. Mit schnellen Schritten näherte er sich dem Dorf und sah jetzt, dass es sehr wohl Lücken in dem Mauerwerk gab. Kleine Durchlässe, die man in früheren Jahrhunderten schnell hatte verschließen können, wenn der Verteidigungsfall eingetreten war. Dann konnte niemand mehr ins Dorf hineinkommen – und auch nicht hinaus. Durch eine schmale Gasse gelangte er auf eine menschenleere Piazza. Angesichts des unfreundlichen Wetters war es nicht verwunderlich, dass kein einziger Dorfbewohner sich blicken ließ. Alexander fragte sich, ob sie sich bei besserem Wetter gezeigt hätten. Oder hätte sein Erscheinen sie genauso von der Piazza vertrieben wie Wind und Regen? Nach dem zu urteilen, was er über die Menschen von Borgo San Pietro gehört hatte, zählte Gastfreundschaft nicht zu ihren hervorstechendsten Eigenschaften. Sein Blick fiel auf den Kirchturm, und er dachte an den ermordeten Bürgermeister, mit dem das Unheil für Elena seinen Anfang genommen hatte.
Von der Sorge um Elena angetrieben, umrundete er die Piazza und suchte die alten, halb verrosteten Straßenschilder ab, bis er die betreffende Straße fand. Es war eher eine Gasse, ähnlich schmal wie die, durch die er den Ort betreten hatte. Das Haus mit der Nummer vierzehn erhob sich am Ende der kleinen Gasse, und unter der Klingel stand auf einem fast ausgebleichten Schild der Name Pisano . Alexander presste den Daumen auf die Klingel. Ein unmelodiöser Ton schrillte durch das Haus und war auch draußen deutlich zu hören. Sonst tat sich nichts. Als Alexander zum fünften oder sechsten Mal klingelte, bemerkte er, dass einer der Vorhänge im oberen Stock sich bewegte, obwohl das betreffende Fenster wie alle anderen verschlossen war.
»Ich weiß, dass Sie da sind, Signor Pisano!«, rief Alexander, während er zu dem Fenster hinaufsah. »Machen Sie bitte auf!
Ich muss Sie dringend sprechen.« Als sich nichts tat, schlug er kräftig mit der Faust gegen die Haustür und fügte hinzu: »Wenn es nicht anders geht, trete ich die Tür ein!«
Das wirkte. Er hörte Schritte, das metallische Geräusch eines im Schloss gedrehten Schlüssels, und die Tür öffnete sich einen Spalt. Ein altes, verwittertes Gesicht lugte ängstlich durch den Spalt, und eine heisere Stimme fragte: »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
»Ich heiße Alexander Rosin und bin der Freund von Elena Vida. Darf ich bitte eintreten? Hier draußen im Regen ist es alles andere als gemütlich.«
Zögernd trat der alte Mann zwei Schritte zurück. Alexander schlüpfte ins Haus und schloss die Tür hinter sich.
»Signor Pisano, nehme ich an.«
Der Alte nickte. »Was wollen Sie von mir?«
»Elena hat gestern das Krankenhaus verlassen und ist seitdem verschwunden. Wissen Sie, wo ich sie finden kann?«
Pisanos heftiges Kopfschütteln wirkte etwas übertrieben.
»Nein, Signore, ich habe keine Ahnung. Wieso fragen Sie ausgerechnet mich?«
»Weil Elena mehr über Ihren seltsamen Einsiedler herausfinden wollte, diesen Angelo. Sie haben doch vor einigen Tagen Signor Schreiber zu ihm geführt. Vielleicht hat auch Elena Sie gebeten, sie zu Angelo zu bringen.«
Pisano wirkte verängstigt, vielleicht auch überrascht. Auf jeden Fall war ihm nicht wohl in seiner Haut. Sein unsteter Blick ging immer wieder zur Tür hinter Alexander, als rechne er jeden Augenblick mit dem Eintreten von jemandem, den er lieber nicht in seinem Haus sah – zumindest nicht gerade jetzt, wo Alexander da war.
»Ihre Freundin war nicht bei mir. Tut mir Leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Wenn Sie jetzt bitte gehen würden, ich habe einige dringende Angelegenheiten zu regeln.«
»Dringende Angelegenheiten in einem so beschaulichen Ort wie Borgo San Pietro? Darf ich fragen, worum es geht?«
»Das dürfen Sie nicht! Ich muss Sie bitten, mein Haus sofort zu verlassen. Andernfalls werde ich die Polizei zur Hilfe rufen.«
»Bis die aus Pescia hier ist, kann es aber dauern.
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