Engelsgrab
überhaupt wieder?« Anklagend zeigte er auf Brady. »Sie verschwenden nur Ihre Zeit. Nichts auf Sophies oder meinen PCs hat irgendetwas mit dieser – dieser …« Simmons verstummte.
Brady wusste, jeder Versuch, Simmons zu beschwichtigen, wäre von vornherein zwecklos gewesen. Und ganz sicher würde er ihn nicht darauf hinweisen, dass Pädophile das Internet benutzen, um sich Zugang zu Kindern zu verschaffen. Die meisten Eltern, die er kannte, ahnten nicht einmal etwas von dieser Gefahr. Aber Brady hatte die Statistik im Kopf und wusste, dass von fünf Kindern eins in Chatrooms angesprochen wurde. Schon deshalb würden sie Sophies Computer analysieren. Dass sie Simmons’ PCs untersuchten, verlangte einfach die Vorschrift. Der Mann war Sophies Stiefvater und demzufolge verdächtig, ganz gleich, ob er bei der Identifizierung erschüttert gewesen war oder nicht.
»Hätten Ihre Kollegen sofort reagiert, als ich Sophie als vermisst gemeldet habe, wäre sie vielleicht noch am Leben«, setzte Simmons seine Beschwerde fort. Sein Gesicht war gerötet, selbst auf der Stirn brannten dunkelrote Flecken. Er sah aus, als stände er kurz vor einem Infarkt.
»Stattdessen werde ich wie ein Geisteskranker behandelt. Auch von Ihnen, Detective Inspector, denn Sie wussten ja schon bei Ihrem ersten Besuch über alles Bescheid.«
Brady zwang sich zur Ruhe. Simmons war eindeutig auf einen Streit aus, aber den Gefallen würde er ihm nicht tun. Was nützte es auch, Simmons zu erklären, dass die Polizei nur bei vermissten Kindern unter zehn Jahren umgehend reagierte und sich bei allen anderen an eine Frist von vierundzwanzig Stunden hielt?
Sophie Washington war nicht der erste Teenager, der als vermisst gemeldet worden war, und mit Sicherheit auch nicht der letzte. Jugendliche in ihrem Alter blieben schon mal über Nacht weg oder schlimmstenfalls für ein paar Tage, gewöhnlich nach einem Streit mit ihren Eltern. Die meisten von ihnen kehrten zurück, mit Ausnahme jener tragischen Fälle, bei denen sie spurlos verschwanden. Brady kannte Geschichten, in denen Elfjährige nach Manchester oder London ausgerissen waren und niemand mehr etwas von ihnen gehört hatte. Er nahm an, dass sie der rapide zunehmenden Kinderprostitution zum Opfer gefallen waren.
Er dachte an die Fragen, die er Simmons gleich zu Anfang gestellt hatte, und an dessen heftige Reaktion. Vor allem aber stieß er sich an dem Bild, das beide Elternteile von ihrer Tochter zeichneten. Danach war Sophie die perfekte Tochter gewesen, eine hervorragende Schülerin, überhaupt ein Mädchen ohne Fehl und Tadel. Das aber erst morgens um drei vermisst gemeldet wurde, obwohl es schon am Abend hätte zurück sein sollen.
Wie er erfahren hatte, war Louise Simmons um zehn Uhr abends zu Bett gegangen und eingeschlafen, offenbar ohne sich um ihre Tochter zu sorgen. Falls das zutraf, hatte Paul Simmons für die Nacht kein Alibi, selbst wenn er mehrfach hervorgehoben hatte, er sei vor dem Fernseher eingenickt. Während seine Stieftochter nicht weit von ihrem Haus entfernt ermordet wurde. Brady entsann sich einer weiteren Statistik, nach der die Mehrheit aller ermordeten Kinder über acht Jahre von ihren Vätern umgebracht worden waren, Stiefvätern insbesondere.
Auch Sophie hatte ihren Mörder gekannt. Der wiederum hatte seine Signatur hinterlassen, indem er ihr Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerstört hatte, was für Brady auf eine überaus persönliche und emotionale Beziehung deutete. Ein solches Vorgehen kannte er aus Mordfällen, in denen ein Ehepartner den anderen erstochen oder erschlagen hatte. Auch da gab es diesen angestauten Hass, der sich in rasender Wut entlud, die noch anhielt, selbst wenn das Opfer nicht mehr lebte.
»Warum gehen Sie nicht endlich und suchen da draußen nach Antworten, bevor Sie uns hier noch weiter lächerliche Fragen stellen«, blaffte Simmons ihn ärgerlich an.
»Ich verstehe Ihren Zorn«, erwiderte Brady. »Aber das waren Fragen, die ich stellen musste.«
»Schön, was wollen Sie dann noch von uns?«, griff Simmons ihn an. »Lassen Sie uns in Ruhe. Sie sehen doch, in welchem Zustand meine Frau sich befindet. Das ist alles verdammt lächerlich.«
»Ganz fertig sind wir noch nicht, so leid es mir tut. Zum Beispiel möchte ich noch wissen, mit wem Ihre Tochter verkehrt hat, sei es persönlich oder über das Internet«, entgegnete Brady ruhig.
»Und warum, wenn ich das fragen darf? Das war doch kein geplanter Mord. Niemand, der Sophie gekannt hat,
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