Engelsgrab
sich. Conrad blieb an der Tür stehen.
»Das ist deine Schuld«, zischte Trina Brady an.
»Trina, jetzt hör mal«, begann Brady. »Dass Shane hier liegt, tut mir sehr leid, aber ich kann doch nichts –«
»Kannst du doch«, fuhr sie ihm dazwischen. »Läufst herum und machst dich wichtig, wann und wo es dir gerade passt, ganz egal, ob Leute wie ich und mein Shane das dann irgendwann ausbaden müssen.«
»Noch mal, Trina, Shane tut mir aufrichtig leid, aber ich wüsste nicht, was ich für seinen Zustand kann.«
»Klar, du bist ja auch heilig. Aber beim nächsten Mal denkst du gefälligst nach, ehe du den Jungen vor seinen Kumpels mit auf die Wache nimmst und alle hinterher glauben, er hätte sie verpfiffen.«
»Trina«, setzte Brady an. »Ich –«
Trina ließ ihn nicht ausreden. »Ich will dein Geschwätz nicht hören, Detective Inspector Brady. Du weißt doch genau wie der Hase läuft, oder hast du das inzwischen vergessen? Du bist in den Ridges groß geworden, da kannst du noch so sehr versuchen, jetzt überall den Obermacker zu geben.«
Sie drehte sich zu Conrad um. »Ihr Chef war mal Abschaum, genau wie ich.« Conrad drückte sich an die Wand und schaute zu Boden.
Sie warf ihre langen blonden Haare zurück und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Brady.
Er dachte an das Mädchen Trina zurück, das er als Junge heimlich angebetet hatte. Nicht einmal das Leben in den Ridges hatte ihre Schönheit damals beeinträchtigen können. Auch jetzt waren noch Spuren davon zu erkennen, trotz der billigen Kleidung, der Schminke und eingefallenen Wangen. Soweit Brady wusste, hatte sie vor Jahren versucht, von den Drogen loszukommen. Es war ihr nicht gelungen.
»Du kannst froh sein, dass dein Bruder nicht hier ist«, fuhr sie fort. »Der würde dich rasch aus deinem feinen Anzug stoßen.«
Brady war generell froh, dass sein Bruder in London wohnte, denn wäre er im Nordosten geblieben, hätte Brady wegziehen müssen. Zwei Brüder, von denen einer ein Krimineller war und der andere Polizist, sollten nicht am selben Ort leben. Aber Trina war damals mit seinem Bruder liiert gewesen und schien ihn immer noch nicht vergessen zu haben.
Um zu vermeiden, dass Trina vor Conrad noch andere Details aus seinem früheren Leben aufwärmte, stand Brady auf und legte seine Karte auf Shanes Nachttisch.
»Hier, Shane. Wenn du mit mir reden möchtest, da hast du meine Nummer.«
Mühsam hob Shane den Kopf. »Leck mich, Bulle. Und steck dir deine Karte sonstwo hin.«
Brady stieß einen Seufzer aus.
Dann nickte er Trina zu. »Pass auf dich auf.«
»Spar dir das. Wir beide wissen, dass ich dich einen Dreck interessiere«, erwiderte sie. »Und sag dem Scheißer Adamson, dass seine Tage gezählt sind. So wie von dem lass ich mich von niemand behandeln und erst nicht von einem Bullen.«
Kapitel 44
Am Ausgang schickte Brady Conrad vor, um den Wagen zu holen.
Er selbst betrat den kleinen Geschenkladen des Krankenhauses.
»Darf man fragen, wer die Glückliche ist?«, erkundigte sich Conrad, als Brady sich wenig später mit einem nicht mehr ganz frischen Blumenstrauß in der Hand zu ihm setzte.
»Niemand, den Sie kennen«, antwortete Brady leise. »Aber halten Sie auf dem Weg am Friedhof an.«
»Aber sicher«, antwortete Conrad und kam sich wie ein Idiot vor.
Auf der Fahrt schwiegen beide. Conrad war wegen seiner Bemerkung unwohl, doch dann erkannte er, dass Brady mit seinen Gedanken ohnehin woanders war und ihn vermutlich nicht einmal gehört hätte.
Der Küstenstreifen, an dem sie entlangfuhren, war verhangen, und das schmutzig graue Meer sah so deprimierend aus wie immer. Nur hier und da waren gebeugte dunkle Gestalten zu erkennen, die sich gegen den Wind stemmten und ihre Hunde laufen ließen.
Am Friedhof hielt Conrad hinter einer Reihe schwarzer Limousinen an.
»Ich warte dann hier auf Sie.«
»Bin gleich wieder zurück«, antwortete Brady.
»Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen, Sir«, erwiderte Conrad.
»Danke«, sagte Brady und stieg aus.
Draußen schlug ihm ein eiskalter Wind entgegen, der ihm durch alle Knochen pfiff. Hinter dem Friedhof hob sich der Leuchtturm in verwaschenem Weiß von den tief hängenden dunklen Wolken ab.
Nicht weit davon entfernt standen ein paar Wohnwagen auf der Klippe. An schönen Tagen sah man von dort aus auf das Meer oder weite Wiesen und Felder, aber weshalb da jemand im November sein wollte, blieb Brady unbegreiflich. Selbst im Sommer hätte er in Whitley Bay nicht
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