Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
Ahnung …«
Pia fragte sich, ob es helfen würde, ihre Schwester an den Füßen festhaltend auf den Kopf zu stellen und kräftig zu schütteln.
»Erzähle der Reihe nach: Was hast du gehört?«
»Dass man in Lübeck einen umbringen lassen kann, für Geld!«
»Was genau hast du gehört?«
»Es gibt so eine Telefonnummer, die ständig wechselt. Die muss man anrufen, wenn man jemanden ermorden lassen will.«
Nele flüsterte jetzt. Was sie gehört hatte, musste sie beeindruckt haben. Aber in dieser Hinsicht wurde viel geredet. Pia brauchte etwas Konkretes, bevor sich ihr Puls nennenswert erhöhte.
»Hast du so eine Nummer? Weißt du, wer das gesagt hat?«
Nele schüttelte den Kopf. Sie griff nach einem ihrer Lippenstifte und zog sich mit festem Druck die Lippen nach. Pia packte sie am Arm.
»Komm schon, da ist doch noch mehr. Wenn du A sagst, musst du auch B sagen …«
Nele sah zur Eingangstür der Toilette, dann zu ihrer Schwester.
»Das Letzte, was ich hörte, war ›Engelsgrube‹«, sagte Nele leise.
»Engelsgrube? Die Straße?«
»Dort soll die Nummer stehen, als Graffiti an der Wand oder so. Wenn du die Nummer anrufst: Bingo! Dann kannst du mit dem nötigen Kleingeld einen Mord in Auftrag geben! Es soll schon ein paar Mal so gelaufen sein.«
Nele sah nicht so aus, als würde sie Storys erfinden. ImGegenteil: Der rot nachgezogene Mund stach hart aus ihrem blassen Gesicht heraus.
»Weiß Olaf davon? Hast du die Information von ihm?«
»Nein, nein! Olaf war genauso perplex wie ich, als ich ihm davon erzählt habe.«
»Von wem hast du es?«
»Ach Pia, frag doch nicht. Ich hab es durch Zufall erfahren. Ich habe gelauscht! Ich kannte die Typen nicht. Ehrlich gesagt wollte ich gar nicht so genau hinsehen. Aber weil du bei der Polizei bist, da dachte ich …«
Sie kam ins Stocken.
»Es war richtig, es mir zu sagen.«
»Bitte sag niemandem, von wem du die Information hast!«
Auch das noch, dachte Pia. Laut sagte sie: »Ich bringe dich nicht in Gefahr, Nele.«
»Toller Trost.«
Sie wurden unterbrochen, weil eine ältere Dame, eine von Marlenes Verwandten, das Damenklo betrat. Nele sammelte ihre Sachen ein, und sie gingen gemeinsam nach oben in den Festsaal. Als sie wieder im Getümmel standen, sah Nele schon wieder so aus, als könne kein Kümmernis ihre Partylaune trüben. Pias Gedanken hingegen kreisten nur noch um einen Ort in Lübeck: die Engelsgrube!
24. KAPITEL
D ie Engelsgrube war eine abschüssige Straße, die sich vom Koberg hinunter bis zur Drehbrücke zog. Pia stand neben dem Gebäude der Schiffergesellschaft und blickte skeptisch hinunter in Richtung Hafen.
Zwischen den gemauerten Schwibbogen, die die schmale Straße überspannten, sah Pia den wolkenverhangenen Abendhimmel. Sie war froh, ihre Taschenlampe aus dem Auto mitgenommen zu haben.
Jetzt, wo sie sich an Ort und Stelle befand, erschien ihr Neles Aussage absurd. Sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte zu suchen. Und bevor sie nicht irgendetwas gefunden hatte, was die Vermutung ihrer Schwester bestätigte, wollte sie auch niemanden mit in diese Unternehmung hineinziehen. Dazu war immer noch Zeit, falls sie hier etwas finden sollte, das der Telefonnummer eines Auftragskillers auch nur ein bisschen ähnelte.
Langsam schritt Pia den Fußweg ab. Sie achtete auf jeden Farbklecks. Der Lichtkegel ihrer Taschenlampe glitt über Fassaden, Schilder und das Straßenpflaster. Pia entdeckte dabei eine Vielzahl gleichförmiger Graffitis, deren Bedeutung sie jedoch nicht verstand. Von einer Telefonnummer fand sie keine Spur.
Am unteren Ende der Engelsgrube angekommen, überquerte sie die Straße und machte sich auf der anderen Seite wieder auf den Weg nach oben. Inzwischen war es stockdunkel, und ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Pia sah in die Schaufenster der Heilsarmee und der Antiquitätenläden, untersuchte auch die Hauswände der Seitenstraßen und Gänge und kam genauso schlau wie vorher wieder oben am Koberg an.
So viel zur Engelsgrube, so viel zu Kneipengewäsch, dachte Pia enttäuscht. Vielleicht war Neles Information aber auch schon zu alt, die Nummer längst wieder beseitigt worden, vermutete sie. Vielleicht gab es jetzt irgendwo anders in Lübecks Altstadt eine unscheinbare Zahlenkombination, mit deren Hilfe man einen lästigen Mitmenschen ins Jenseits befördern konnte.
Doch wo sollte sie danach suchen? Es erschien ihr so aussichtslos, dass Pia sich plötzlich zu der Feier mit Musik, Wärme und kostenlosen
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