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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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schnell.“
    Violet rekelte sich im Polster. Die Sonne auf ihrem Gesicht fühlte sich angenehm an. „Bringst du mir Erdbeeren mit?“
    Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis er wieder auftauchte, weil sie erneut in einen Halbschlaf geglitten war. Seine Fingerspitzen auf ihren Lippen und ein köstlicher Erdbeerduft zogen sie zurück in die Realität. Sie biss ein Stück von der Frucht ab, ohne die Lider zu öffnen und ergriff sein Handgelenk, um auch den Rest zu verzehren.
    „Möchtest du noch eine?“ Seine Stimme klang belegt.
    Nun schlug sie doch die Augen auf. In den Kanälen und danach war keine Zeit für Nähe gewesen. Sie war mehr damit beschäftigt, zu überleben und Gabriel vermutlich auch. Doch jetzt, mit seinem Gesicht so dicht über ihrem, beschleunigte sich ihr Herzschlag. Einem plötzlichen Impuls folgend legte sie ihre Hände in seinen Nacken und zog ihn zu sich herab. Der Kuss war lang und heftig und vertiefte sich, als seine Zunge gegen ihre stieß und ihren Mund erforschte. Er schmeckte viel besser als Erdbeeren. Viel besser als alles, was sie sich vorstellen konnte. Sein Haar kitzelte ihren Hals, seine Hände hielten ihren Kopf umfangen und sein Atem beschleunigte sich im Gleichklang mit ihrem.
    „Wir müssen aufhören“, murmelte Gabriel, „sonst reiße ich dir die Kleider vom Leib und dann kommt eins zum anderen, und dann verhaften sie uns wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.“
    Er ließ sich hinter das Lenkrad fallen und stellte die Schale mit den Früchten in die Ablage zwischen den Sitzen. Sie wusste nicht, ob sie enttäuscht oder belustigt sein sollte. Auch das war etwas, das sie vor Gabriel nicht gekannt hatte. Ein so intensives Begehren, dass ein Wort oder eine einfache Berührung oder nur ein Blick ausreichte, um sie in Flammen zu setzen. Sie fragte sich, ob es die außergewöhnlichen Umstände waren, die sie zusammengeführt hatten. Die Gefahr für Leib und Leben und diese irrsinnige, überschäumende Euphorie nach einem Kampf, wenn man begreift, dass man noch am Leben ist.
    Sie verspeisten die Erdbeeren, während Gabriel den Wagen zurück auf den Freeway lenkte. Manchmal trafen sich ihre Finger, wenn sie gleichzeitig in die Schale griffen. Schließlich provozierte sie diese zufälligen Berührungen, bis Gabriel ihre Hand umfasste und lange nicht mehr losließ. Sie wünschte, dass sie immer weiterfahren und niemals ankommen würden.
    Vor ihnen flimmerte die Wüste. Die Creosotebüsche, die überall aus dem fahlen Sandboden wuchsen, standen in voller Blüte. Am Horizont streckten sich Bergketten unter einem tiefblauen Himmel. Der Freeway lag einsam vor ihnen, nur selten begegneten sie anderen Fahrzeugen. Als Gabriel die ausgebleichte Asphaltpiste verließ und auf einen Sandweg abbog, war es leicht, sich vorzustellen, dass sie die einzigen Menschen unter der Sonne waren.
    „Warum lebst du hier draußen?“
    „Weil es ein friedlicher Ort ist.“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Du kannst deinen Herzschlag hören.“
    „Fühlst du dich nie einsam?“
    Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin nicht gut im Umgang mit anderen.“
    „Was ist mit deinem Vater?“
    Ein schmerzhaftes Lächeln glitt über sein Gesicht. „Wir schätzen einander. Wir sind uns durch Blut verpflichtet. Unsere Loyalität füreinander kennt keine Grenzen. Doch das heißt nicht, dass wir miteinander leben können.“
    Sie dachte an ihre Mutter, für die sie buchstäblich durchs Feuer gegangen wäre. Die Zärtlichkeit, die sie für Mom empfand, war niemals frei von Schuld. Mit ihr leben konnte sie auch nicht, doch sie konnte auch nicht ohne sie leben. Ein Paradox, das bestand, seit sie im Alter von neunzehn Jahren bei Mom ausgezogen war und seither mehr mit ihr sprach, als sie es je zuvor getan hatte.
    Die Ebene ging über in zerklüftetes Hügelland. Sie tauchten ein in eine Schlucht aus roten Felsen, die sich immer weiter verengte, bis Violet fürchtete, sie würden mit den Spiegeln an den Schrunden entlangkratzen. In einer kleinen Bucht hielt Gabriel und stellte den Motor aus.
    „Wir sind da“, verkündete er.
    Sie stieg aus und folgte ihm zu einem versteckten Durchschlupf zwischen den Felsen. Ein Trampelpfad schlängelte sich zwischen hoch aufragenden Kliffen und mündete in ein Tal von unwirklicher Schönheit. Rote Felshänge formten einen runden Kessel. Nach Süden hin, wo die Sonne tief am Horizont hing, öffnete sich das Tal zu einer Gruppe von Hügeln, die aus feinem Sand bestanden.

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