Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
heftiger Ruck durch das Fahrzeug, dass sie nach vorn in den Gurt geschleudert wurde. Violet verriss das Lenkrad, der Mercedes schlingerte, hart trat sie auf die Bremse. Mit einem Ruck kamen sie zum Stehen. Der Motor erstarb.
Sie holte tief Atem, drehte den Kopf und starrte ihn an. „Sind Sie verrückt geworden?“
Gabriel antwortete nicht, sondern stieß die Tür auf und taumelte ins Freie. Er stürzte auf die Knie, richtete sich wieder auf und verschwand im Dunkeln.
Ein paar Sekunden blieb sie sitzen, weil Wut, Panik und Sorge in ihr rangen und sie nicht sicher war, welcher Gefühlsregung sie nachgeben sollte. Die ganze Aktion war völlig aus dem Ruder gelaufen. Es hatte ein kleiner Einbruch werden sollen, doch nun hockte sie in einemgestohlenen Autowrack mitten in der Wüste, nachdem sie diesem Kerl das Leben gerettet hatte, mit dem etwas nicht stimmte. Ihr Blick fiel auf die Blutschlieren, die den Beifahrersitz besudelten. Wenn er da draußen unbedingt sterben wollte, war das nicht ihr Problem.
Aber so einfach war es nicht. Sie bückte sich nach ihrer Pistole und stieg aus. Das Blut an ihren Händen hatte sich in einen klebrigen Film verwandelt. Sie wischte sich die Finger an ihrer Jeans ab, umrundete den Wagen und starrte über die Ebene, in der Gabriel verschwunden war. Grasbüschel und Kakteen zeichneten sich schwarz im Mondlicht ab.
„Hey“, rief sie halblaut. Wind strich über ihren Nacken und ließ sie frösteln. „Alles okay?“
Für einen Herzschlag glaubte sie, ein Rascheln zu hören, dann ein Knurren, das abrupt verstummte. Sie spannte sich an. Doch da war nichts außer dem Pfeifen des Windes.
Plötzlich schwang ein Schrei herüber.
Gabriel stolperte, brach in die Knie und riss sich die Handflächen auf bei dem Versuch, sich abzufangen. Er spürte den Schmerz nicht, nur die Wärme des Blutes auf der Haut. Seine Muskeln verkrampften sich unter Wellen purer Agonie, die sich höher auftürmten, immer höher und sein Inneres in Stücke rissen. Er hörte sich schreien, verlor jedes räumliche Gefühl. Ein Abgrund gähnte ihm entgegen. Er fiel, ein Sturz ins Bodenlose. Sein Geist krümmte sich zusammen vor Entsetzen. Es spielte keine Rolle mehr, dass der Schmerz nur die Erneuerung ankündigte. Nichts spielte eine Rolle. Die Transformation überrollte ihn mit der Wucht eines göttlichen Schwertstreichs und löschte sein Denken aus. Er wusste nicht, wie lange er schrie. Sekunden, Stunden, die Zeit dehnte sich.
Endlich erloschen die Flammen. Er wurde zu Asche in einem wirbelnden Sturm. Als der letzte Windhauch sich legte, sank er hinab in die Dunkelheit. Lautlos, ein schwacher Hauch. Sein Herzschlag verharrte.
Schließlich, nach einer Ewigkeit, stürzte er zurück in die Realität. Hustend und keuchend rang er nach Atem. Ihm wurde bewusst, dass er am Leben war, und dass die Schmerzen in seinem Körper zu Taubheit und Leere verklungen waren. Steifgliedrig richtete er sich auf die Knie. Konturen schälten sich aus der Schwärze, als seine Sicht sich klärte. Er erfasste Sträucher und Steine, den Wagen in einiger Entfernung und die Silhouette der Frau, die vor ihm aufragte. Dahinter, im Augenwinkel, glaubte er, eine Bewegung wahrzunehmen. Er versuchte, zu erkennen, was es war, doch nichts regte sich mehr im Dunkeln.
„Alles okay mit Ihnen?“, durchschnitt Violets Stimme die Stille.
Er wusste, er schuldete ihr Dankbarkeit. Sie hatte ihn aus diesem Loch befreit, auch wenn er ihre Beweggründe nicht verstand. Sacht tastete er nach ihrem Geist. Keine Aura, nichts, das darauf hinwies, dass sie mehr war als ein gewöhnlicher Mensch. Er stieß den Atem aus und richtete sich auf. Violet taumelte zwei Schritte zurück, als habe eine unsichtbare Faust sie getroffen.
„Mir geht’s gut.“ Seine Kehle war noch heiser vom Schreien. „Keine Sorge.“
Auf ihrem Antlitz wechselten Unglaube und Entsetzen in rascher Folge. Das Mondlicht enthüllte jedes Detail ihres Gesichts und Gabriels Sinne fanden allmählich zurück zu ihrer alten Schärfe. Er wusste, dass sie ihn im Gegenzug nur schemenhaft wahrnehmen konnte, und war plötzlich froh darum. Ein Teil von ihm registrierte, wie zierlich sie war. Ein schmaler, drahtiger Körper, der zu einer Tänzerin passte. Ihre Schultern unter einem ärmellosen blauen Top waren sehnig und gut trainiert. Er machte einen Schritt auf sie zu, doch sie wich weiter zurück. Der Wind verwirbelte ihr Haar, glatte schwarze Strähnen, die ihr bis zum Kinn reichten. Mit beiden
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