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Engelsmorgen

Engelsmorgen

Titel: Engelsmorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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immer weiter in die Finsternis zwischen den Bäumen vordrang. Sie wollte darüber nicht nachdenken. Nachdenken würde nur dazu führen, dass sie vielleicht doch noch umkehrte. Sie wagte sich auf unbekanntes Territorium vor. Verbotenes Territorium.
    Sie würde einen Verkünder herbeirufen.
    Luce hatte schon früher mit Schatten zu tun gehabt – und sie auch in ihre Schranken verwiesen. Das erste Mal hatte sie diese Macht bei sich bemerkt, als sie in Sword & Cross während des Unterrichts einen Schatten davon abhielt, ihr in die Hosentasche zu gleiten. Sie hatte ihn so kräftig gezwickt, dass er von seinem Vorhaben abließ und sich verzog. Und dann hatte sie einmal in der Bibliothek einen Schatten neben Penn verscheucht. Die arme Penn. Welche Botschaft dieser Schatten wohl überbringen sollte? Wenn Luce damals in der Lage gewesen wäre, den Schatten so zu beherrschen, wie Francesca und Steven es ihnen heute vorgeführt hatten – hätte sie dann verhindern können, was passiert war?
    Sie schloss die Augen. Sah Penn, wie sie gegen die Wand gesunken war, den Oberkörper mit Blut besudelt. Ihre aufgeopferte Freundin. Nein. Auf jene Nacht zurückzublicken, war zu schmerzlich und führte Luce nirgendwohin. Alles, was sie tun konnte, war, nach vorn zu schauen.
    Luce kämpfte gegen die Angst an, die sie mit eiskalter Faust umklammert hielt. Etwas Schwarzes lauerte geräuschlos im Schatten des tief hängenden Astes eines Mammutbaums, kaum zehn Meter von ihr entfernt.
    Sie machte einen Schritt darauf zu und der Verkünder wich zurück. Luce ging weiter, Schritt für Schritt näherte sie sich ihm und achtete darauf, keine zu plötzlichen Bewegungen zu machen. Sie wollte nicht, dass der Schatten ihr entwischte.
    Da.
    Der Schatten bewegte sich auf einmal, wollte unter einer Wurzel verschwinden, aber offensichtlich war er dort eingeklemmt.
    Luces Herz klopfte zum Zerspringen. Sie musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Ja, es war hier im Wald finster; und ja, niemand wusste, wo sie war; und ja, es stimmte, dass sie eine ganze Weile keiner vermissen würde, wenn ihr irgendetwas zustieß – aber trotzdem gab es keinen Grund, panisch zu sein. Oder? Warum packte sie dann eine solche Furcht? Warum zitterten ihre Hände so stark wie früher, wenn sie einen Schatten erblickte? Bevor sie von Daniel erfahren hatte, dass sie eigentlich harmlos waren?
    Sie musste etwas tun, sie konnte nicht länger wie erstarrt dastehen. Entweder hatte sie doch den Mut verloren, dann war es Zeit, umzudrehen und zum Wohnheim zurückzugehen, oder …
    Da reckte sich ihr Arm auf einmal nach vorne, das Zittern war plötzlich verschwunden. Sie fasste nach dem schwarzen Etwas, hob es vom Boden auf und presste es fest an ihre Brust. Sie war überrascht, wie glitschig und kalt der Schatten sich anfühlte. Eine gefiederte, klebrige Masse. Ein Schauder durchlief sie. Was sollte sie jetzt damit anfangen?
    Das Bild der brennenden Städte tauchte in ihr auf. Luce fragte sich auf einmal, ob sie die Botschaft des Schattens überhaupt verkraftete. Und ob sie ihm sein Geheimnis wirklich entlocken konnte. Wie funktionierten diese Dinger noch mal? Francesca und Steven hatten nichts anderes gemacht, als an beiden Seiten zu ziehen.
    Vor lauter Aufregung hielt Luce den Atem an. Sie fuhr mit den Fingern an der Flanke des Schattens entlang, fasste ihn dann und zog. Zu ihrer eigenen großen Überraschung ließ sich der Schatten leicht verformen, fast wie Knetmasse, und nahm jede Form an, die sie mit ihren Händen vorgab. Mit einiger Anstrengung versuchte sie, ihn zu einem Rechteck auseinanderzuziehen. Zu einem Bildschirm, wie ihn ihre beiden Lehrer vor der Klasse hochgehalten hatten.
    Zuerst war es noch einfach, doch der Schatten schien sich immer mehr zu versteifen, je weiter sie ihn auseinanderzog. Und jedes Mal, wenn sie ihre Hände an einer neuen Stelle ansetzte, um eine halbwegs gleichmäßige rechteckige Form zu bekommen, schrumpfte der Rest wieder zu einem schwarzen Klumpen zusammen. Bald keuchte sie und wischte sich mit dem Arm den Schweiß vom Gesicht. Sie wollte nicht so schnell aufgeben. Doch als der Schatten dann auch noch zu vibrieren begann, schrie sie auf und ließ ihn fallen.
    Der Schatten glitt sofort zwischen den Bäumen davon. Erst als er verschwunden war, begriff Luce, dass nicht dessen schwarze Masse vibriert hatte, sondern das Handy in ihrem Rucksack.
    Sie war gar nicht mehr daran gewöhnt, eines zu haben. Als sie nach Sword & Cross gekommen war, hatte sie

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