Engelspakt: Thriller (German Edition)
als gar nichts.
Der alte Martini war spät am Abend zu dem Anwesen zurückgekehrt, etwa zwei Stunden nachdem Kublicki seinen Posten in der leerstehenden Wohnung bezogen hatte. Die Hauswirtschafterin war eineinhalb Stunden vor dem Hausherrn mit einem Taxi vorgefahren.
Ob der Gelehrte Scrimgeours Brief schon gelesen und den Inhalt weitergegeben hatte? Martini hatte jedenfalls nicht den Eindruck gemacht, als ob er von einer Besprechung zurückgekommen wäre. Er wirkte sehr ruhig und gelassen, fast sogar angeheitert und ganz sicher nicht wie jemand, der vor kurzem von einem Kollegen erfahren hatte, dass der leibhaftige Teufel nur wenige Kilometer von seinem Haus entfernt im Vatikan residierte und man dringend etwas dagegen unternehmen müsste.
Kublicki seufzte.
Der alte Hirnakrobat hätte ihm und seinem Auftraggeber eine Menge Arbeit ersparen können, wenn er den Brief in seinem Arbeitszimmer auf den Schreibtisch gelegt hätte. Dann hätte Kublicki das Schreiben nur noch einstecken müssen.
59.
David erwachte, aber es war diesmal anders als nach einer gewöhnlichen Bewusstlosigkeit. Es gab weder einen Zeitriss, noch hatte er Gedächtnislücken. Er erinnerte sich sogar, wie er aus der Nichtdunkelheit aufgetaucht war. Er hatte Rom brennen und Papst Leo sterben sehen. Noch jetzt roch er das verkohlte Fleisch der Toten und die verbrannte Erde, als wandelte er selbst inmitten der verwüsteten Metropole mit Leos blutbesudeltem Gewand als Fanal.
Für einen Moment hatte er geglaubt, er selbst sei das Ungeheuer. Doch das war nicht die ganze Wahrheit, es war nicht wirklich sein Selbst. Er sondierte sogar jetzt noch in der Erinnerung. Er beobachtete alles, was er zu fassen bekam, obwohl er längst aus der Vision mit Kardinal Ciban und Papst Leo erwacht war. Lediglich die Verbindung mit Ciban, das Band, existierte nicht mehr.
Allerdings war da dieser Tropfen aus blauweißem Licht, dieser Tropfen voller Erinnerung, voller Wohlwollen, der durch Davids Bewusstsein zirkulierte. Ein Tropfen mit dem Potenzial für ein neues Selbstbewusstsein. David war zwischen Angst und Verzückung hin- und hergerissen. Der Tropfen hatte inzwischen jedes einzelne Molekül seines Selbst durchdrungen.
David spürte die Veränderung, ahnte etwas. Nur was?
Da ging die Tür auf, und der Doktor betrat das Zimmer.
Für einen Moment mochte David sich glatt übergeben. Selbst der blauweiße Tropfen in ihm war um einiges menschlicher als dieses weißgewandete Subjekt. Dieser Mann war nichts weiter als ein widerwärtiges Ungeziefer. Das Ungeziefer kam nun schnurstracks auf ihn zu.
»Wie geht es dir, David? Fast hätten wir dich wegen deines kleinen Abenteuers verloren.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, legte der Doktor das Zeitungsfoto von Kardinal Ciban auf das Bett. Es war ihm völlig gleich, wie David sich fühlte. Einzig dass David noch lebte, zählte für ihn. Jetzt wollte er wissen, warum der Junge das hohe Risiko einer Sondierung außerhalb der Isolationskammer überhaupt eingegangen war und vor allem, was er dabei herausgefunden hatte.
»Ich bin hundemüde.« David schloss halb die Lider.
»Deine Vitalwerte sehen aber gut aus.« Der Doktor fixierte ihn wie eine Katze die Maus. »Ich werde mich kurzfassen. Warum hast du das Bild aus der Zeitung herausgerissen und den Mann sondiert?«
Den Bruchteil einer Sekunde zuvor hatte David noch nicht gewusst, was er darauf antworten sollte, doch nun sagte er: »Ich habe den Mann in der Zeitung wiedererkannt. Sie wissen schon, er war auf dem Foto, das Sie mir neulich in der Iso-Kammer gegeben haben. Da es bei der ersten Sondierung nicht so richtig geklappt hat, dachte ich, es wäre einen Versuch wert.«
Die aalglatten Gesichtszüge des Doktors ließen nicht erkennen, ob er ihm diese Erklärung abkaufte, doch David spürte, wie sich in seinem eigenen Inneren angesichts der widerwärtigen Gegenwart Zanollas etwas zu verändern begann.
Es knisterte förmlich in seinem Innern.
Und das Knistern war gegen den Doktor gerichtet.
»Wie sieht’s aus?«, fragte Zanolla. Immerhin war seine Neugierde geweckt. »Hat es diesmal funktioniert?«
David schüttelte den Kopf und schaffte es sogar, dem Doktor aufrichtig in die Augen zu blicken. »Nein, nicht wirklich. Ich war an einem dunklen Ort. Ich glaube, ich war tot.«
Der Doktor nickte, enttäuscht und erleichtert zugleich.
»In der Tat. Das warst du.« Dann hielt er inne und deutete mit gewichtiger Miene auf das Foto. »Das ist ein sehr gefährlicher Mann,
Weitere Kostenlose Bücher