Engelspakt: Thriller (German Edition)
stieg aus, eilte durch den Regen über den nassen, gepflasterten Zugang und erklomm die beiden Stufen bis zur Eingangstür. Da sie keine Klingel fand, betätigte sie den altmodischen Türklopfer.
Erst einmal geschah gar nichts. Dann öffnete ihr zu ihrer Überraschung der Hausherr persönlich die Tür. Lazarus – Catherine konnte nicht anders, als ihn weiterhin so zu nennen – trug einen weißen Anzug und dazu bequeme schwarze Turnschuhe, so als brauchte er innerhalb des Hauses unbedingt festes Schuhwerk mit einer beweglichen Sohle.
Lazarus begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln. »Ah, da sind Sie ja, Schwester.«
Catherine entging nicht, dass er dabei einen kurzen Blick über ihre Schulter warf, als wollte er sich vergewissern, dass sich zwischen den Büschen und Autos keine ungebetenen Gäste herumdrückten.
Der Mercedes setzte sich in Bewegung und fuhr davon.
»Kommen Sie doch bitte herein.« Er schloss die Tür hinter ihr.
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich so kurzfristig zu empfangen, Doktor Martini. Ich werde Ihre Zeit gewiss nicht länger als nötig in Anspruch nehmen.«
Der Gelehrte winkte ab. »Machen Sie sich darüber mal keine Sorgen, Schwester. Ich bin ein alter Mann mit wenig Abwechslung und viel zu viel Zeit. Es ist ganz gut, wenn ich hin und wieder etwas anderes sehe als meine tyrannische Haushälterin und meine Bücher.«
Das Innere des Hauses mit seinen zahlreichen antiken Ausstellungsstücken erinnerte Catherine an eine Mischung aus einem Museumsgebäude und einem Geisterhaus. Schon der Eingangsbereich mit den altägyptischen, römischen und mittelalterlichen Skulpturen und Wandbildern – alles Nachbildungen, wie Lazarus beiläufig versicherte – führte Catherine in eine Umgebung, die nicht von dieser Welt zu stammen schien.
Auch Lazarus selbst schien nicht von dieser Welt zu stammen. Catherine schätzte ihn auf Anfang, Mitte siebzig. Er war groß und dünn, und er trug einen weißen Anzug, der vermutlich einmal Ende der fünfziger oder Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts modern gewesen war. Seine Augen schimmerten unter dem dichten weißen Haar wie blaues Eis und hatten in ihrem Ausdruck sowohl etwas Vergeistigtes als auch etwas Militärisches. Für sein Alter bewegte Lazarus sich mit einer erstaunlichen Behändigkeit, auch wenn er ihr versicherte, wegen der vielen Schreibtischarbeit längst nicht mehr so beweglich wie früher zu sein.
Der alte Gelehrte öffnete eine Tür, und sie betraten das Wohnzimmer, elegant eingerichtet mit einer Mischung aus italienischen und britischen Stilmöbeln im Charme des neunzehnten Jahrhunderts. Eibe, Mahagoni, Kirschholz und weißes Leder.
Kuchen und eine dampfende Espressokanne standen auf dem ovalen Tisch bereit, von der Hauswirtschafterin fehlte allerdings jede Spur. Vielleicht hatte Lazarus ihr freigegeben, um ungestört mit Catherine reden zu können.
Er deutete auf die Couchgarnitur. »Bitte nehmen Sie doch Platz und bedienen Sie sich. Meine Haushälterin Mariella hat den Kuchen selbst gebacken. Ich versichere Ihnen, es gibt keinen besseren auf dieser Welt.«
Der Kuchen sah in der Tat sehr lecker aus, außerdem wäre es unhöflich gewesen, die Einladung abzulehnen. Also nahm Catherine die Teller und schnitt Lazarus und sich selbst je ein Stück ab, während er fragte, wie sie den Kaffee wünschte.
Der Kuchen sah nicht nur lecker aus, er schmeckte auch so.
Kaum dass die Tassen geleert waren, griff Lazarus erneut nach der Kanne und füllte nach.
»Weswegen ich hier bin, Doktor Martini …«, begann Catherine behutsam.
»Sie können mich ruhig Lazarus nennen, wie es Darius früher getan hat«, erklärte der alte Gelehrte mit seiner rauen Stimme. »Er hat mir viel von Ihnen erzählt. Ihr Ziehvater und ich haben in Chicago und später hier in Rom gemeinsam an einem Projekt gearbeitet. Sie erinnern sich vielleicht noch: Corona. Ich habe Sie damals als Kind zwei- oder dreimal ganz kurz gesehen. Zugegeben, ich saß meist hinter der Glasscheibe.«
Corona!
Und ob Catherine sich daran erinnerte. Nie würde sie die Galerie mit den unzähligen Fotografien vergessen, die sie in ihrer Kindheit gesehen hatte, damals, als sie das Katholische Institut für medial Hochbegabte in Chicago zum ersten Mal betreten hatte. Die Fotografien hatten Menschen, Tiere und Pflanzen gezeigt, allerdings nicht die abgelichteten Gegenstände selbst, sondern deren Wesen, die Auren. An Lazarus erinnerte sie sich dagegen nicht. Auch hatte
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