Engelspakt: Thriller (German Edition)
dass der Professor jetzt tot war und Ciban auf der Intensivstation lag. Der Fremde mit der Waffe hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, eine Maske überzuziehen, demnach würde er sie nach der Übergabe des Briefes beide umbringen. Sie durften ebenso wenig wie Scrimgeour und Ciban auf Rettung hoffen.
Catherines Blick fiel auf die Tüte mit dem Mehl, die vom Kuchenbacken stehen geblieben sein musste. Sie war oben nur leicht zusammengefaltet, und der Mann konnte sie nicht sehen. Lieber hätte sie nach dem handlichen Elektroschocker gegriffen, den Ciban ihr besorgt hatte, aber die Waffe lag in ihrer Wohnung und war damit unerreichbar.
Lazarus legte das Messer behutsam auf den Boden und stieß es von sich fort. Dabei wirkte er so gebrechlich, wie man es von einem alten Gelehrten erwartete. Selbst die kleinste Bewegung schien ihm Schmerzen zu bereiten. Einzig der entschlossene und nur für Catherine kurz sichtbare Blick signalisierte ihr, dass sie sich für was auch immer bereithalten sollte.
»Und jetzt den Brief … bitte!«, sagte der Mann.
Spielten Catherines Nerven ihr einen Streich, oder roch es vom Kücheneingang her, als ob im Haus etwas qualmte?
Erneut streifte der Blick des Gelehrten den von Catherine. Scheinbar belanglos für den Fremden. Doch Catherine erschauerte innerlich, denn für den Bruchteil einer Sekunde nahm sie die überaus komplexe Aura des Klerikers wahr. Ihre feine Textur glich einem alten Ölgemälde, das schon zigmal übermalt worden war und somit aus vielen Bildern und Leben bestand, umgeben von mehreren Schichten aus Licht und Finsternis.
72.
Viktor ließ das uralte Haus nicht aus den Augen. Dummerweise versperrte ihm irgend so ein buschartiges Gewächs den direkten Blick auf die Eingangstür.
Monsignore Rinaldo war mit der Vatikan-Limousine vor über einer halben Stunde abgefahren. Seither hatte Schwester Catherine das Haus von diesem Dr. Martini nicht wieder verlassen, jedenfalls nicht durch den Vordereingang.
Dafür war kurz darauf dieser seltsame Bankertyp mit der Nickelbrille aufgetaucht und auf dem Grundstück verschwunden. Der Mann hatte Viktor aus einem nicht greifbaren Grund sofort stutzig gemacht. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Kerl. Er hatte sich einen Tick zu unauffällig umgesehen.
Also hatte Viktor sich näher an das alte Haus herangepirscht, auch wenn das Risiko ziemlich hoch war, um das Haus von diesem komischen stacheligen Busch aus zu beobachten. Warum mussten die Leute auch so ein Gestrüpp in ihrem Vorgarten anpflanzen?
Seit mehreren Minuten verharrte er nun schon reglos, behielt die Fenster sowie die Eingangstür im Auge und dachte über diesen mehr als seltsamen Fall nach.
Konnte Marc Abott Kardinal Ciban diesen Professor Scrimgeour wirklich ermordet haben?
Viktor versuchte sich einen Reim auf das Ganze zu machen, aber im Gegensatz zu Coelho verfügte er über weit weniger Informationen, um ein Gesamtbild erstellen zu können.
Fest stand für ihn nur, dass Kardinal Ciban kein Mörder war. Das war einfach nicht sein Stil.
Plötzlich rührte sich Viktors sechster Sinn. Irgendetwas stimmte hier nicht. Sein Blick glitt über die Fenster und die Tür bis hinunter zum Keller. Hinter den alten Kellerfenstern waberte etwas. Nebelschwaden?
Verdammter Mist, das war Rauch!
73.
Lazarus legte den großen Brief vorsichtig auf die Anrichte und versetzte ihm mit ein klein wenig Schwung einen Stoß, damit er wie ein Glas Whisky in einem Western auf den Mann zuglitt.
»Danke«, sagte dieser mit breitem Lächeln, als der Umschlag exakt am Ende der versiegelten Holzplatte liegen blieb. »Dann wollen wir mal nachsehen, ob das auch der richtige Wisch ist.«
Mit der Pistole gab er Lazarus und Catherine zu verstehen, dass sie gefälligst von der Anrichte wegtreten sollten. Die Tüte mit Mehl wurde damit ebenso unerreichbar wie der Taser. Dann fiel Catherines Blick auf den Messerblock. Das Fleischmesser fehlte!
»Schön zurücktreten«, sagte der Mann und näherte sich dem Papier, die Pistole nach wie vor auf sie und Lazarus gerichtet. Der alte Gelehrte nutzte just jenen Moment, in dem der Fremde nach dem Umschlag griff, um hineinzusehen, und dabei die Waffe kurz sinken ließ.
Das Messer flog mit einer unglaublichen Geschwindigkeit durch die Luft und blieb in der Brust des Gegenübers stecken, als hätte es genau gewusst, wo die eine Rippe aufhörte und die nächste begann.
Japsend torkelte der Mann zurück, ließ den Brief fallen und krampfte die linke Hand um den
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