Engelspakt: Thriller (German Edition)
missbraucht. Über Jahre! Das war Sarahs Geheimnis. Das war ihr Problem! Das war der Grund für ihre Angst. Deshalb war sie nach England geflüchtet, weit weg von ihm. Deshalb hatte ihre Familie nichts von unserer Eheschließung erfahren dürfen, denn dann hätte auch er es bald gewusst!
Plötzlich ergibt alles einen Sinn! Du kannst mir glauben, Robert, ich bin so was von wütend.
Er wird mir ganz sicher nicht einfach so davonkommen, dieser Weihwasser predigende und Wein trinkende Bastard. Glaub mir, ich werde ihn mir schnappen. Dann werde ich ihn in Stücke schießen und dann …
Ciban sollte seine eigene Schwester missbraucht haben? Das war einfach unmöglich! Der Alkohol musste Scrimgeours Urteilsvermögen wohl restlos vernebelt haben.
Catherines Schläfen hämmerten vor Kopfschmerz, erst recht nach diesen Worten. Sie stand auf, eilte in die Küche und öffnete die Schublade mit den Medikamenten.
Als sie auf dem Weg dorthin den Flur passierte, überlappten die Ereignisse von vor zwei Tagen für einige Sekunden nahezu komplett ihre Gegenwart. Ciban, der aschfahl und blutverschmiert in ihrem Türrahmen gestanden hatte und dann in ihrem Flur zusammengebrochen war. Als würde Catherine über der Szene schweben, sah sie, wie sie ihn gepackt und umgedreht, wie sie sein Hemd aufgerissen und die lebensgefährliche Schusswunde erblickt hatte. Einen Sekundenbruchteil darauf teilte sie in diesem Flashback ihre Lebensenergie mit Ciban, betrat seinen Geist und wurde allein durch die Erinnerung an den Widerhall seiner Gedanken und die Wucht des Revolverschusses brutal aus der Reminiszenz gerissen.
Catherine atmete tief durch, griff nach einem Glas, füllte es mit Leitungswasser und schluckte zwei Kopfschmerztabletten. Sie durfte jetzt auf gar keinen Fall schlappmachen. Vor allem musste sie die Nerven bewahren.
Das Testergebnis wirkte überzeugend, das musste sie zugeben. Und Scrimgeours wütende Abschlussworte hätten vermutlich jeden Menschen überzeugt, der Marc Ciban nicht persönlich kannte. Doch Catherine kannte den Kardinal. Sie hatte sogar in seine Seele gesehen, vor zwei Tagen erst, als er in ihrem Appartement im Sterben gelegen hatte, und dann noch einmal in der Klinik. Wenn Catherine eines wusste, dann das: Niemand verstellte im Sterben seine Seele.
Müde lehnte sie sich an die Spüle und trank einen weiteren Schluck, in Gedanken teils bei Scrimgeours Brief, teils bei den Ereignissen von vor zwei Tagen und teils bei den finsteren, mitleidlosen Geheimnissen, die Lazarus ihr aus dem Fragment der Engelsbibel über den Triadenorden und seine Mitglieder offenbart hatte. Sie musste sich eingestehen, dass sie dieses unfassbare Dunkel während des Energietransfers auf Cibans Seite durchaus gespürt hatte. Diese unheimlichen Schatten während des aufkommenden Todeskampfes, als Cibans Agonie Catherine ihre eigene Sterblichkeit bewusst gemacht hatte und sie beide fast ins Jenseits gerissen hätte. In ihrem ganzen Leben würde sie diesen schrecklichen Moment nicht vergessen.
Dennoch … nichts von dem, was Scrimgeours Unterlagen angeblich bewiesen, deckte sich auch nur annähernd mit dem Bild, das sie sich in den letzten Monaten, ganz zu schweigen von den letzten Tagen, von Ciban hatte machen können.
Natürlich war da dieses Dunkel, aber in gleichem Maße war da auch ein unglaubliches Licht. Waren da Vertrauen, Harmonie, Zuneigung, Liebe!
Jener Marc Ciban, den Catherine kennengelernt und während des Energietransfers gespürt hatte, hatte seine kleine Schwester immer beschützt. Deshalb hatte er ja auch nach Sarahs Tod weiterrecherchiert. Deshalb hatte er herausfinden wollen, wer Sarahs Mörder war. Catherine setzte das Glas abrupt ab. Er hatte es herausgefunden! Er war dem Mörder auf die Spur gekommen!
Sie wirbelte herum und eilte ins Wohnzimmer zurück. Da musste noch etwas in Scrimgeours Brief sein. Etwas, das sie ebenso wie der britische Professor übersehen hatte. Etwas, das er in seiner blinden, medikamenten- und alkoholdurchtränkten Wut gar nicht mehr hatte wahrnehmen können.
Sie griff nach dem Schreiben, sah es Wort für Wort, Seite für Seite und Bild für Bild durch und versuchte sich parallel dazu noch einmal Cibans Pinnwand in dem Schutzraum in Erinnerung zu rufen. Immer wieder ging es um künstliche Befruchtung und um Genetik.
Catherine hielt kurz inne, starrte auf das Feuer im Kamin und versuchte nachzudenken. Wer würde von Sarahs, Scrimgeours, Martinis und Cibans Tod überhaupt profitieren? Wie
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