Engelsrache: Thriller
junge Juristen bei ihrem ersten großen Auftritt vor Gericht sonst meist machen. Richter Green fand nicht eine einzige Gelegenheit, ihn in Verlegenheit zu bringen.
Als Martin sich wieder setzte, übernahm ich meine Rolle. Während seiner Unterredung mit den Kandidaten hatte ich mir die Namen der Geschworenen eingeprägt. Ich behandelte jeden Einzelnen mit äußerster Zuvorkommenheit und lächelte, sooft es ging. Ich dankte ihnen für den großen Dienst, den sie der Allgemeinheit erwiesen, und klärte sie darüber auf, dass es ihr gutes Recht sei, den Richter bei Fragen, die ihnen nicht behagen sollten, um die Erlaubnis zu bitten, das betreffende Thema unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu behandeln. Außerdem legte ich ihnen nahe, sich offen und ehrlich zu allen ihnen schwierig erscheinenden Punkten zu äußern. Dabei beobachtete ich ganz genau, wie sie auf meine Ausführungen reagierten und wie sie meine Fragen beantworteten.
Obwohl mein Psychiater-Freund Tom Short davon abgeraten hatte, war meine Prozessstrategie in hohem Maße darauf angelegt, nicht Angel, sondern den ermordeten Reverend Tester in den Mittelpunkt des Verfahrens zu stellen. Um den Prozess zu gewinnen, brauchte ich Geschworene, vor allem weibliche Geschworene, die von aufrichtigen religiösen Überzeugungen durchdrungen und zutiefst empört darüber waren, dass der Pastor die Einnahmen aus einer Kirchenkollekte in einem Nachtclub verjubelt hatte. In Juristenkreisen war diese unter bestimmten Umständen äußerst wirksame Vorgehensweise auch als »Geschieht-dem-Mistkerl-ganz-recht«-Strategie bekannt.
Außerdem wollte ich mindestens vier Männer, vorzugsweise Väter, in der Jury haben. Männer fühlten sich zu Angel hingezogen. Ich wollte den Beschützerinstinkt dieser Männer wecken. Sie sollten das Gefühl haben, dass sie am Ende des Verfahrens zu Angel gehen und zu ihr sagen konnten, dass das Mädchen ihren Freispruch vor allem der Stimme oder dem Einfluss dieser männlichen Beschützer verdankte.
Nach einem dreistündigen intensiven Meinungsaustausch und zahllosen Fragen und Antworten ließ Richter Green verlauten, dass nun die Auswahl der Geschworenen anstehe. Dann wurden fünf Männer und sieben Frauen bestimmt, die dem Gremium angehören sollten. Bedauerlicherweise war es mir nicht gelungen, alle Kandidaten durchzusetzen, die ich gerne gehabt hätte, weil Frankie immer wieder Einspruch erhob, trotzdem war ich mit dem Gremium zufrieden, das jetzt auf der Geschworenenbank Platz nahm.
Die Geschworenen erhielten Namensschilder und wurden vom Richter vereidigt. Er erklärte ihnen, wie sie sich während der Verhandlung zu verhalten hatten, und blickte dann auf die Uhr an der rückwärtigen Wand des Raumes.
»Es ist gerade Mittag, und ich bin hungrig. Die Verhandlung wird bis dreizehn Uhr dreißig unterbrochen. Sie können jetzt Mittag essen gehen.«
Nachdem die Geschworenen sich verzogen hatten, führten die Beamten Angel wieder in die Gerichtszelle. Caroline hatte mir ein Sandwich und ein paar Chips eingepackt, und ich bereitete mich während der Mittagspause auf mein Eröffnungsplädoyer vor. Um Punkt dreizehn Uhr dreißig erschien Richter Green wieder im Gerichtssaal und wies die Gerichtsdiener an, die Geschworenen hereinzubitten.
Ich war aufgestanden und blickte den Geschworenen entgegen, die jetzt im Gänsemarsch wieder hereinkamen. Während sie an mir vorbeigingen, bedachte ich jeden Einzelnen mit einem freundlichen Lächeln.
»Ich hoffe, dass Ihnen das Mittagessen geschmeckt hat«, sagte der Richter. »Ist die Staatsanwaltschaft so weit?«
»Ja, Sir.«
»Ist die Verteidigung bereit?«
»Ja, Herr Richter.«
»Dann verlesen Sie bitte die Anklage, Mr Martin.«
Martin stand auf und verlas die Anklageschrift, der zufolge Angel Christian den Reverend John Paul Tester wissentlich, absichtlich und mit Vorsatz ermordet hatte. Außerdem wurde ihr die Verstümmelung der Leiche zur Last gelegt.
»Bitte die Eröffnungsplädoyers«, sagte der Richter.
Frankie Martin stand auf. »Meine Damen und Herren, aus den vorliegenden Beweisen ergibt sich eindeutig, dass die Angeklagte Angel Christian am frühen Morgen des zwölften April 2006 John Paul Tester brutal ermordet und verstümmelt hat. Mr Tester hatte am Abend des elften April einen Club besucht, in dem die Angeklagte als Bedienung beschäftigt war. Die Angeklagte flirtete bei dieser Gelegenheit mit Mr Tester und brachte ihm mehrere Drinks. Gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig hob Mr Tester
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