Engelsrache: Thriller
Alternative keinen Grund zur Klage. Ich nahm reichlich Aspirin und ging auf Krücken. Caroline half mir, die Wunde zu versorgen.
Nach dem Anschlag auf mich wurde Tester junior verhaftet und des zweifachen Mordversuchs angeklagt. Man hatte ihn bereits in die geschlossene Psychiatrie in Knoxville verlegt. Ich betrachtete den Mann mit gemischten Gefühlen. Er hatte zwar zweimal – fast erfolgreich – versucht, mich umzubringen, trotzdem war er in meinen Augen selbst ein Opfer, das Opfer einer hochexplosiven Verbindung aus fundamentalistischem Extremismus und väterlicher Verlogenheit. Als er von den Umständen Kenntnis erlangt hatte, die den gewaltsamen Tod seines Vaters begleitet hatten, war offenbar etwas in ihm ausgerastet. Und dann hatte er das alles in der Hauptverhandlung noch ein zweites Mal über sich ergehen lassen müssen … Ich hatte erhebliche Zweifel daran, dass ihn ein Gericht im strafrechtlichen Sinn für schuldig befinden würde. Er war genau wie Angel so schwer traumatisiert, dass ihm das Empfinden für die Grenze zwischen Recht und Unrecht offenbar abhanden gekommen war.
Ich hinkte auf meinen Krücken durch die Gefängnisgänge zum Anwaltszimmer. Als ich eintrat, saß Erlene Barlowe schon am Tisch. Sie trug Fußfesseln, und ihre Handschellen waren an einer Gürtelkette befestigt. Fast wie Maynard Bush, dachte ich. Trotz des orangefarbenen Overalls sah sie blendend aus, obwohl die Farbe nicht recht zu ihrem roten Haar passen wollte.
Sie saß auf demselben Stuhl, auf dem auch Angel während unserer zahlreichen Gespräche immer gesessen hatte. Zu meiner Überraschung war sie aufgekratzt wie eh und je. Ein Kleenex schien sie jedenfalls nicht zu benötigen.
»Mr Dillard«, sagte sie, während ich mich etwas umständlich hinsetzte, »ich kann Ihnen ja gar nicht sagen, wie es mich freut, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen denn?«
»Wie nach einem guten Durchschuss, könnte man vielleicht sagen.«
»Oh, wie schrecklich, mein Lieber. Das muss ja ganz furchtbar für Sie gewesen sein. Der Kerl war ja noch verrückter als der alte Tester.«
»Schade, dass wir uns ausgerechnet hier wiedersehen, Erlene.«
»Sie müssen mich hier unbedingt wieder rausholen. Ich habe den Mann ja nicht umgebracht.«
Wie oft hatte ich das nicht schon gehört? Nur dass es diesmal wirklich stimmte.
»Ich weiß.«
»Darauf wette ich. Hat mein kleiner Engel Ihnen alles erzählt?«
»Entschuldigen Sie, aber darüber darf ich nicht sprechen.«
Sie legte sich die Hände auf die Brust. »Ich lach mich kaputt. Angel hat es Ihnen also erzählt. Aber Sie hätten den Prozess ohnehin gewonnen. Deshalb habe ich Sie schließlich engagiert, weil ich weiß, dass Sie der Beste sind.«
Der Beste. Dass ich es verstand, für eine Frau, die einen Menschen umgebracht hatte, einen Freispruch zu erwirken, das also machte aus mir eine juristische Koryphäe. Was hätte ich anstellen müssen, um als besonders schlechter Anwalt zu gelten?
»Ich habe da mal eine Frage«, sagte ich. »Angel hatte einige Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung die Chance, mit der Staatsanwaltschaft eine für sie sehr vorteilhafte Absprache zu treffen. Sie hat den Deal letzten Endes jedoch abgelehnt. Haben Sie damit zufällig etwas zu tun gehabt?«
Erlene setzte ein kokettes Lächeln auf.
»Nach der Eröffnung des Verfahrens hat ihr die Gegenseite noch mal ein Angebot gemacht. Die Staatsanwaltschaft war bereit, die Mordanklage gegen sie fallenzulassen. Einzige Bedingung: Angel hätte aussagen müssen, dass Sie den Mord begangen haben. Aber das wollte sie nicht.«
»So ist sie nun mal, mein süßer kleiner Engel.«
»Und dass Julie Hayes vor Kurzem zufällig das Zeitliche gesegnet hat, kommt uns auch sehr gelegen – oder etwa nicht?«
»Was für eine schreckliche Tragödie. Wie oft habe ich zu dem Mädchen gesagt, dass sie die Hände von den Drogen lassen soll. Am Ende ist sie dann daran kaputtgegangen.«
»Und Sie haben nicht zufällig was mit dem Tod des Mädchens zu tun?«
»Wie kommen Sie denn darauf? Unglaublich, dass Sie mich überhaupt so etwas fragen. Trotzdem will ich Ihnen ein kleines Geheimnis verraten. Denkbar, dass ich mal angedeutet habe, dass Julie ein Problem ist, und dann hat jemand diese Feststellung möglicherweise falsch gedeutet. Ich wollte doch nicht, dass jemand umgebracht wird.«
Ich beschloss, es dabei zu belassen, sonst hätte ich am Ende noch als Zeuge gegen Erlene auftreten müssen. »Und was glauben Sie, wie die Polizei Ihren Wagen
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