Engelsstimme
was ist das?«, fragte Sigurður Óli, der bereits aufgestanden war, um zu gehen.
Sie erzählte es ihm und war sehr erfreut, als sie merkte, dass es ihr gelungen war, das Interesse des Kriminalbeamten zu wecken.
»Lebt dieser Mann noch?«, fragte Sigurður Óli die Frau. Sie nannte den Namen, stand auf und holte das Telefonbuch. Sigurður Óli fand den Namen und die Adresse. Er wohnte in Reykjavík und hieß Baldur.
»Ist das ganz bestimmt dieser Mann?«, fragte Sigurður Óli. »Soweit ich weiß, ja«, sagte die Frau und lächelte zufrieden, weil sie der Polizei einen Dienst erwiesen hatte. »Das war damals in aller Munde«, fügte sie hinzu.
Sigurður beschloss, sofort zu der Adresse zu fahren, in der Hoffnung, dass der Mann zu Hause war. Es war später Nachmittag. Der Verkehr war zäh, und auf dem Weg nach Reykjavík telefonierte Sigurður Óli mit Bergþóra, die …
»Würdest du vielleicht endlich zur Sache kommen«, unterbrach Erlendur ungeduldig Sigurður Ólis Ausführungen. »Nein, denn das betrifft dich«, sagte Sigurður Óli und setzte ein süffisantes Lächeln auf. »Bergþóra wollte wissen, ob ich dich für Heiligabend zu uns eingeladen hätte. Ich habe ihr gesagt, dass ich es getan habe, aber von dir immer noch keine Antwort hätte.«
»Ich werde Heiligabend mit Eva Lind bei mir zu Hause verbringen«, sagte Erlendur. »Das ist die Antwort, und würdest du jetzt endlich zur Sache kommen?«
»Okay«, sagte Sigurður Óli.
»Und hör auf, okay zu sagen.«
»Okay.«
Baldur wohnte in einem gepflegten Holzhaus im Þingholt-Viertel und war gerade von der Arbeit nach Hause gekommen; er war Architekt. Sigurður Óli klingelte bei ihm und stellte sich als Mitarbeiter der Kriminalpolizei vor, der mit dem Mordfall Guðlaugur Egilsson befasst war. Der Mann war keineswegs erstaunt. Er taxierte Sigurður von oben bis unten, lächelte dann und bat ihn hinein.
»Ich habe ehrlich gesagt mit einem Besuch gerechnet«, sagte er, »ich meine, von der Polizei. Ich hatte überlegt, ob ich Verbindung mit euch aufnehmen sollte, habe es dann aber immer wieder vor mir hergeschoben. Es ist kein Vergnügen, mit der Polizei zu tun zu haben.« Er lächelte wieder und nahm Sigurður Óli den Mantel ab.
In der Wohnung war alles sehr ordentlich und aufgeräumt, wo man auch hinschaute, schien alles an seinem Platz zu sein. Im Wohnzimmer brannten Kerzen, und der Weihnachtsbaum war bereits geschmückt. Der Mann bot einen Likör an, den Sigurður Óli dankend ablehnte. Baldur war mittelgroß, schlank und machte einen entspannten Eindruck. Das Haar war schon etwas lichter geworden, und der roten Farbe war eindeutig nachgeholfen worden. Aus der Stereoanlage im Wohnzimmer glaubte Sigurður Óli die Stimme von Frank Sinatra zu hören.
»Weshalb hast du mich oder einen von uns erwartet?«, fragte Sigurður Óli und setzte sich auf ein großes rotes Sofa.
»Wegen Gulli«, sagte der Mann und setzte sich ihm gegenüber. »Ich wusste, dass ihr das ausgraben würdet.«
»Dass wir was ausgraben würden?«, fragte Sigurður Óli.
»Dass Gulli und ich früher zusammen waren«, sagte der Mann.
»Was meinst du damit, dass er mit Guðlaugur früher zusammen war?«, warf Erlendur dazwischen.
»Er hat es so ausgedrückt«, sagte Sigurður Óli.
»Dass er mit Guðlaugur zusammen war?«
»Ja.«
»Was bedeutet das?«
»Dass sie zusammen waren.«
»Meinst du, dass Guðlaugur …« Eine ganze Reihe von Aussagen und Bildern im Zusammenhang mit dem Mordfall gingen Erlendur durch den Kopf, er sah vor allem die verkniffenen Mienen von Guðlaugurs Schwester und dem gelähmten Vater vor sich.
»Das sagt auf jeden Fall dieser Baldur«, wiederholte Sigurður Óli. »Aber Guðlaugur wollte nicht, dass es bekannt würde.«
»Dass seine Beziehung zu Baldur bekannt wurde?«
»Er wollte geheim halten, dass er schwul war.«
Siebenundzwanzig
Der Mann im Thingholt-Viertel informierte Sigurður Óli darüber, dass die Beziehung zwischen ihm und Guðlaugur angefangen hatte, als sie etwa fünfundzwanzig waren. Das war die Disko-Zeit gewesen, und Baldur hatte sich eine Kellerwohnung im Vogar-Viertel gemietet. Weder er noch Baldur hatten es gewagt, sich zu outen. »Damals war die Einstellung zur Homosexualität eine andere als heute«, sagte er und lächelte. »Aber da war schon einiges im Umbruch.«
»Wir haben auch nicht richtig zusammengelebt«, fügte Baldur hinzu. »Damals lebten Männer nicht zusammen, was ja heute möglich ist, ohne dass sich
Weitere Kostenlose Bücher