Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
zwar in London, aber zu Hause bin ich in Surrey.«
»Für mich«, erwiderte Tante Sadie freundlich, aber bestimmt, »ist es dasselbe.«
Der Abend schien endlos. Die Kroesigs sehnten sich ganz offenkundig nach einer Partie Bridge und schienen sich aus dem »Pferderennen«, das man ihnen als Ersatz anbot, nicht sonderlich viel zu machen. Sir Leicester sagte schließlich, er habe eine anstrengende Woche hinter sich und müsse unbedingt früh zu Bett gehen.
»Begreife nicht, wie ihr Burschen das aushaltet«, meinte Onkel Matthew voller Mitgefühl. »Gerade gestern habe ich mich mit dem Bankvorsteher in Merlinford unterhalten und ihm gesagt, es muss doch die Hölle sein, den ganzen Tag mit dem Geld von anderen Leuten herumzuhantieren, und immer drinnen.«
Linda ging hinaus, um Lord Merlin anzurufen, der eben aus dem Ausland zurückgekehrt war. Tony folgte ihr, sie blieben lange fort und kamen schließlich mit geröteten Gesichtern und ziemlich verlegen zurück.
Als wir am nächsten Morgen in der Halle herumlungerten und auf die Kipper warteten, die sich schon durch einen himmlischen Duft angekündigt hatten, konnten wir beobachten, wie zwei Tabletts mit Frühstück nach oben wanderten – für Sir Leicester und Lady Kroesig.
»Nein wirklich, das ist der Gipfel, verdammt«, schimpfte Onkel Matthew. »Dass ein Mann im Bett frühstückt, habe ich noch nie gehört.« Und er warf einen versonnenen Blick auf den Schanzspaten.
Es besänftigte ihn dann allerdings, dass sie kurz vor elf nach unten kamen, bereit zum Kirchgang. Onkel Matthew war nämlich ein mächtiger Pfeiler der Kirche, las die Texte aus der Bibel, wählte die Lieder und trug den Beutel herum, und er schätzte es, wenn sein Haus am Gottesdienst teilnahm. Aber ach, die Kroesigs entpuppten sich als schlimme Götzendiener und stellten es unter Beweis, als sie sich beim Glaubensbekenntnis genau nach Osten drehten. Kurzum, sie gehörten zu den Leuten, die einem nichts recht machen können, und ein Aufatmen ging durch das Haus, als sie beschlossen, mit einem Abendzug nach London zurückzukehren.
»Tony ist ein Lackl, oder?«, fragte ich traurig.
Am nächsten Tag machte ich mit Davey einen Spaziergang durch Hen’s Grove. Davey verstand immer, was man sagen wollte, es war eine seiner vielen netten Eigenschaften.
»Ein Lackl«, sagte er betrübt. Er betete Linda an.
»Und nichts kann ihr die Augen öffnen?«
»Nicht bevor es zu spät ist, fürchte ich. Arme Linda, sie ist sehr romantisch veranlagt, für eine Frau ist das fatal. Zum Glück für die Frauen und für uns alle sind die meisten von ihnen schrecklich terre à terre, sonst würde es in der Welt auch gar nicht weitergehen.«
Lord Merlin hatte mehr Mut als wir anderen und sprach aus, was er dachte. Linda machte ihm einen Besuch und fragte ihn: »Freuen Sie sich über meine Verlobung?«, worauf er entgegnete: »Nein, natürlich nicht. Warum haben Sie sich eigentlich verlobt?«
»Ich habe mich verliebt«, erklärte Linda stolz.
»Warum denken Sie das?«
»Man denkt es nicht, man spürt es«, versetzte Linda.
»Papperlapapp.«
»Ach, Sie verstehen offenbar nichts von der Liebe, es ist zwecklos, mit Ihnen zu reden.«
Lord Merlin wurde sehr böse und sagte, unreife kleine Mädchen verstünden erst recht nichts von der Liebe.
»Liebe«, sagte er, »ist etwas für Erwachsene, das werden auch Sie eines Tages begreifen. Sie werden begreifen, dass Liebe mit der Ehe nichts zu tun hat. Ich bin sehr dafür, dass Sie bald heiraten, in ein oder zwei Jahren, aber dem lieben Gott und uns allen zuliebe – heiraten Sie nicht solch einen Trottel wie Tony Kroesig.«
»Wenn er ein solcher Trottel ist, warum haben Sie ihn dann eingeladen?«
»Ich habe ihn nicht eingeladen. Baby brachte ihn mit, weil Cecil Grippe hatte und nicht kommen konnte. Und außerdem, wie soll ich ahnen, dass Sie hingehen und irgendeinen x-beliebigen Lückenfüller heiraten, der zufällig bei mir zu Gast ist?«
»Sie sollten sich ein bisschen genauer überlegen, was Sie sagen. Jedenfalls begreife ich nicht, warum Sie behaupten, Tony sei ein Trottel, er weiß alles.«
»Allerdings, ja, das stimmt! Genau wie Sir Leicester – von Lady Kroesig gar nicht zu reden.«
Aber der Glanz der Vollkommenheit, der Tony umgab, bestrahlte in Lindas Augen auch die ganze Familie Kroesig, und sie wollte nichts hören, was gegen sie gerichtet war. Linda verabschiedete sich ziemlich kühl von Lord Merlin, kam nach Hause und schimpfte über ihn. Er
Weitere Kostenlose Bücher