Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
weiteren Gesprächsstoff zu präsentieren, und drängte die Gäste nach oben, wo sie sich ausruhen und zum Dinner umkleiden konnten. In Alconleigh herrschte die Ansicht, die Anreise von London sei außerordentlich strapaziös, und wer sie auf sich nehme, sei nachher ruhebedürftig.
»Was ist denn das für eine Lampe?«, fragte Onkel Matthew den armen Davey, der immer noch in dem knappen Bademantel herumstand, den er für sein Sonnenbad angelegt hatte, und unentwegt erklärte, wie leid es ihm tue.
»Nun, du weißt doch, dass man in den Wintermonaten überhaupt nichts verdauen kann.«
»Ich schon, du Knilch«, sagte Onkel Matthew, und an Davey gerichtet, konnte man diesen Ausdruck durchaus als Kosenamen verstehen.
»Du glaubst, du könntest es, aber in Wirklichkeit kannst du nicht. Diese Lampe nun verströmt ihre Strahlen im Organismus, die Drüsen fangen an zu arbeiten, und das Essen bekommt einem wieder.«
»Na schön, aber verströme deine Strahlen hier nicht mehr, solange wir die elektrische Spannung nicht erhöht haben. Wenn das Haus voller verdammter Hunnen ist, will man sehen können, was sie im Schilde führen.«
Zum Dinner trug Linda ein Kleid aus weißem Chintz mit einem ausladenden Rock und einem schwarzen Spitzenhalstuch. Sie sah einfach hinreißend aus, und es war offensichtlich, dass ihre Erscheinung auf Sir Leicester großen Eindruck machte – Lady Kroesig und Miss Marjorie, in Crêpe Georgette und Spitzen gewandet, schienen es nicht zu bemerken. Marjorie war ein äußerst langweiliges Mädchen, ein paar Jahre älter als Tony. Eine Heirat war ihr bisher versagt geblieben, und der biologische Sinn ihres Daseins hatte sich anscheinend bereits verflüchtigt.
»Haben Sie Brothers gelesen?«, wandte sich Lady Kroesig, um ein Gespräch zu beginnen, an Onkel Matthew, als man sich zur Suppe niederließ.
»Was ist das?«
»Der neue Ursula Langdok – Brothers –, es geht um zwei Brüder. Den sollten Sie lesen.«
»Meine liebe Lady Kroesig, ich habe in meinem ganzen Leben nur ein einziges Buch gelesen, und zwar Wolfsblut. Es ist so unheimlich gut, dass ich mich nie mit einem anderen abgegeben habe. Aber Davey hier liest Bücher – ich wette, du hast Brothers gelesen, Davey, oder?«
»Leider nein«, entgegnete dieser verdrießlich.
»Ich werde es Ihnen leihen«, versprach Lady Kroesig, »ich habe es dabei, im Zug bin ich damit fertig geworden.«
»In der Eisenbahn«, erklärte Davey, »sollten Sie niemals lesen. Für die Sehnervenzentren ist das irrsinnig belastend, es strapaziert sie ungemein. Dürfte ich bitte einen Blick auf die Speisekarte werfen? Ich muss dazu sagen, dass ich soeben mit einer neuen Diät begonnen habe, eine Mahlzeit weiß, eine Mahlzeit rot. Mir bekommt das sehr gut. Oh, wie schade! Sadie – ach, sie hört nicht zu –, Logan, dürfte ich Sie um ein Ei bitten, ganz kurz gekocht, verstehen Sie. Jetzt kommt nämlich meine weiße Mahlzeit, und es gibt Hammelrücken, wie ich sehe.«
»Also, Davey, dann iss doch jetzt rot und frühstücke morgen weiß«, meinte Onkel Matthew. »Ich habe einen Mouton Rothschild geöffnet, ich weiß doch, wie gern du ihn trinkst – extra für dich habe ich ihn aufgemacht.«
»Oh, zu dumm«, sagte Davey, »ich weiß nämlich zufällig, dass es zum Frühstück Kipper gibt, und die liebe ich nun wirklich über alles. Was für eine schauderhafte Entscheidung. Nein! Jetzt muss es ein Ei sein und dazu ein wenig trockenen Weißwein. Die Kipper darf ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, so köstlich, so bekömmlich und vor allem so proteinreich.«
»Kipper«, meinte Bob, »sind braun.«
»Braun zählt als rot. Das wirst du doch wohl verstehen, oder?«
Aber als die Schokoladencreme vorbeikam – eine reichliche Portion, doch wenn die Jungen daheim waren, reichte sie nie ganz aus –, da zeigte sich, dass sie als weiß zählte. Wie die Radletts schon bei vielen Gelegenheiten festgestellt hatten, konnte man sich nie darauf verlassen, dass Davey eine Speise, und wäre sie noch so unbekömmlich, ablehnte, sofern sie wirklich gut schmeckte.
Tante Sadie hatte ihre liebe Not mit Sir Leicester. Er steckte voller langweiliger gärtnerischer Leidenschaften und ging wie selbstverständlich davon aus, dass es bei ihr genauso sei.
»Wie viel ihr Londoner immer von Gärten versteht!«, meinte sie. »Sie sollten sich mit Davey unterhalten, er ist ein großer Gartenfreund.«
»Londoner bin ich eigentlich nicht«, sagte Sir Leicester vorwurfsvoll. »Ich arbeite
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