Engpass
gerät ins Schwärmen. Endlich wird am anderen Ende abgehoben. Eine weibliche Stimme holt sie in die Realität, erkundigt sich auf Spanisch, wer am Apparat sei.
»This ist Elsa Wegener from Germany. Can I talk to Dr. Angermaier, please?«
Stille am anderen Ende. Offenbar wird der Hörer weitergereicht. Nach wenigen Augenblicken hört Elsa eine weibliche deutsche Stimme. »Angermaier. Wer spricht, bitte?«
»Frau Angermaier?« Elsa atmet erleichtert auf. »Elsa Wegener. Kripo Traunstein. Ich ermittle in einem Mordfall, der über 20 Jahre zurückliegt. In dem Zusammenhang müsste ich dringend mit Ihrem Mann sprechen.«
Am anderen Ende Seufzen. Danach ein kurzes Räuspern. »Mein Mann ist vor zwei Monaten an einem Herzinfarkt verstorben. Er kann Ihnen nicht mehr zur Verfügung stehen.«
Elsa schüttelt leise für sich den Kopf. Das kann doch nicht wahr sein.
»Mein aufrichtiges Beileid, Frau Angermaier. Darf ich Ihnen kurz einige Fragen stellen? Es dauert wirklich nicht lange. Vielleicht erinnern Sie sich ja an eine Patientin namens Silke Maihauser.«
»Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich war nicht die Sprechstundenhilfe meines Mannes, auch wenn das oft üblich ist. Ich kann Ihnen keine Auskünfte erteilen. Ich bitte um Verständnis.«
»Trotzdem! Sie haben in Marquartstein gelebt. Da bekommt man doch einiges mit. Sicher hat Ihr Mann Ihnen, vielleicht abends beim Essen, das ein oder andere Detail hinsichtlich seiner Patienten erzählt. Die ärztliche Schweigepflicht endet doch meist beim Ehepartner. Denken Sie bitte nach. Ihre Hilfe könnte sehr wichtig sein. Es geht darum, ob Silke Maihauser schwanger war.«
»Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen, weil ich nichts weiß. Absolut nichts! Haben Sie mich jetzt verstanden? Rufen Sie nicht mehr an. Ich werde nicht abheben. Guten Tag!« Elsa hört es leise knacken.
Aufgelegt. Sie starrt auf den Hörer in ihrer Hand, wirkt genervt. »Wenn alle so hilfsbereit wären …«, murmelt sie und legt das Telefon energisch zurück auf den Schreibtisch. Einige Minuten lang denkt sie schweigend nach. Noch immer bohrt sie mit dem Kugelschreiber in die Lederauflage. Überschlägt in Gedanken, was sie am schnellsten weiterbringen würde. Dann legt sie das Schreibgerät zur Seite.
Die Krankenhäuser, fällt ihr ein. Sie nickt zur Bestätigung.
Erneut ist Telefonieren angesagt. Sie überprüft sämtliche Spitäler inklusive Privatsanatorien und Wellness-Kliniken. Doch niemand kann ihr etwas über Silke Maihauser sagen. Keine Schwangerschaft, kein Hinweis darauf, dass sie ein Kind verloren oder eine Abtreibung vorgenommen hatte. Silke Maihauser tauchte nirgendwo auf. Erst beim letzten Anruf hilft man ihr weiter. Ja, eine Patientin namens Silke Maihauser habe es gegeben. Elsa horcht auf. Allerdings sei es um etwas höchst Banales gegangen. Frau Maihauser habe sich einem Check-up unterzogen.
»In ihrem Alter?«, wundert sich Elsa. »Ich meine, eine junge Frau lässt sich doch nicht grundlos durchchecken. Seien Sie mir nicht böse, aber das finde ich ungewöhnlich.«
»Mag sein«, entgegnet die Schwester. Im Hintergrund hört Elsa hektisches Gemurmel. Offenbar braucht man ihre Gesprächsteilnehmerin bei Wichtigerem.
»Nichtsdestotrotz ist es so gewesen. Mehr kann und darf ich Ihnen nicht sagen. Einen angenehmen Tag noch!«
Erneut sitzt Elsa mit dem Hörer in der Hand da. Keinen Schritt weitergekommen.
Vielleicht hatte Silke die Schwangerschaft nur erfunden. Aber wenn ja, aus welchem Grund? Weshalb griff eine Frau zu solch drastischen Mitteln? Um Karl Degenwald unter Druck zu setzen? Vielleicht wollte sie ihren Mann ja doch verlassen. Konnte es nicht sein, dass ausgerechnet Degenwald der Mann fürs Leben für sie gewesen war? Andererseits gab es auch eine andere Variante. Was, wenn Silke für Degenwald nur eine Affäre dargestellt hatte und nicht umgekehrt? Genauso, wie Bramlitz für Silke nur ein Mann für zwischendurch gewesen sein konnte. Elsa schießen tausend Gedanken durch den Kopf. Ungeordnete, bruchstückhafte. Variable Wahrnehmungen und Möglichkeiten. Die muss sie samt und sonders auf Tauglichkeit abklopfen. Wie soll sie sonst weiterkommen und das Motiv finden? Das wirkliche Motiv dieses Mordes, der schon so lange zurückliegt und den Täter offenbar in all der Zeit unbehelligt hat weiterleben lassen. Dazu braucht es schon einen besonders perfiden Charakter, weiß Elsa.
Sie muss Degenwald näher kennenlernen. Er ist einer der Schlüssel zur Aufklärung
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