Engpass
Maihauser-Villa liegt still da. Nach dem Sturm, der den spät zurückgekehrten Sommer begleitete, sind die Straßen und Gärten in chaotischem Zustand. Blätterbüschel, umgeknickte Sträucher, herumliegende Äste, zerfetzte Sonnenschirme, die noch oder wieder in Gärten und auf Terrassen standen. Der Park rund um Fred Maihausers Anwesen wirkt seltsam unbehelligt. Entweder war der Gärtner schon früh am Morgen damit beauftragt worden, alle Schäden zu beseitigen, oder eine Glocke hatte sich um Haus und Garten gesaugt, um alles, was Beschädigung bewirkt hätte, auszusperren.
Elsa drückt die Taste neben dem Namensschild und wartet ab. Drinnen ist der Gong zu hören, mutmaßt sie und sieht sich um. Alles wirkt friedlich, fast unbewohnt. Mitten in ihre Überlegungen hinein hört sie eine Stimme fragen, wer sie sei und was sie wolle.
»Elsa Wegener, Kripo Traunstein. Ich möchte zu Frau Leiner.«
»Ich drücke Ihnen auf«, hört Elsa eine schüchtern weibliche Stimme. Offenbar Hanne Maihauser, Freds zweite Frau, die sie bis dahin noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Mit der muss sie ohnehin sprechen. Auch wenn Karl Degenwald das für sich garantiert schon erledigt hatte.
Die Begrüßung mit Dinos Mutter ist kurz. Elsa begutachtet eine unauffällige Frau, kaum geschminkt, klassisch-konservativ gekleidet, leicht untersetzt, mit teurem Schmuck um Hals und Handgelenk und seltsam unbeteiligtem Lächeln. Schwer einzuschätzen, gesteht sie sich ein. Nach einem kurzen Gespräch, für das sie sich jetzt keine Zeit nimmt, wird sich das ändern. Elsa fragt nach der Haushälterin.
»Frau Leiner hat heute ausnahmsweise frei. Auch, wenn mir das nicht recht ist. Ich habe Berge von Bügelwäsche. Die muss ich jetzt allein bezwingen.«
»Aha«, meint Elsa nur, weil sie weiß, dass sie sofort eine Erklärung bekommen wird.
»Migräne«, fügt Frau Maihauser, wie erwartet, an, als sie Elsas fragenden Gesichtsausdruck bemerkt.
»Hat sie sich so früh am Morgen schon krankgemeldet?«
»Nein, nein. Das hat sie gestern schon. Spät am Abend noch.«
»Sie wollen sagen, Frau Leiner wusste bereits gestern Abend, dass sie heute noch immer Migräne hat und nicht arbeiten kann?«
»Ihre Anfälle dauern. Aber was kann man machen? Gutes Personal ist schwer zu finden.«
»Wie lange dauern ihre Anfälle?«, will Elsa wissen.
»Meistens zwei Tage, im schlimmsten Fall drei oder länger. Sie muss liegen, ohne Licht. Furchtbar«, antwortet Hanne Maihauser.
»Dann geh ich mal zu ihr rüber. Seien Sie bitte so nett und halten sich zu meiner Verfügung?«
»Wie meinen Sie das?«
»Bleiben Sie im Haus. Vielleicht wechseln wir noch das ein oder andere Wort. Frau Leiner werde ich vermutlich mit nach Traunstein nehmen müssen.«
»Nach Traunstein? Mit dem Wagen? Bei Migräne?« Hanne Maihauser schüttelt irritiert den Kopf. »Das wird sie Ihnen schon ausreden.« Sie schluckt, sagt nichts mehr, als sie Elsas entschlossenen Blick sieht, streicht stattdessen mit den Händen über den Rock, als wolle sie sie darin verstecken. Eine Geste der Unsicherheit, konstatiert Elsa.
Sie öffnet die Terrassentür und geht durch den Garten Richtung Seitentrakt. Dort liegt Birgit Leiner hinter zugezogenen Vorhängen, die alles Licht absorbieren, glaubt Elsa. Als sie die Fenster sieht, allesamt dem Sonnenlicht des frühen Morgens preisgegeben, ahnt sie, dass etwas nicht stimmt.
Birgit steht im Bad, hält eine grausig verzerrte Miene vor den Spiegel. Sie sieht Elsa auf sich zukommen. Durch das kleine Fenster links von sich. Grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Sie will halt noch mal mit ihr reden. Sie ausquetschen. Durchkneten wie einen Teig. Diese Wegener. Doch da ist dieses nagende Gefühl. Ein flauer Magen? Nein, anders, eher sich zusammenkrampfende Organe. Sie spürt, dass ihr jemand auf der Spur ist. Ihrer komplizierten Geschichte. Dem lautlosen Kampf, den sie mit Silke Maihauser, deren Nicht-Moral, ihren eigenen ethischen Grundsätzen und dem Leben Fred Maihausers geführt hat und noch immer führt. Freds Leben war das eines geprügelten Hundes gewesen. Viel zu lange. Genauso wie ihres. Nur wusste er nicht, wie sehr er und sie – schicksalsgleich – miteinander verbunden waren.
Es ist ein vages Gefühl, dass Elsa Wegener etwas ahnen könnte. Wie hinter Nebel verborgen. Aber es ist da.
Birgit fühlt sich wie vorm Bühnenaufgang. Elsa bietet ihr die Hauptrolle an. Die Rolle ihres unscheinbaren Lebens. Sie muss nur noch annehmen. Und um
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