Engpass
die Gage verhandeln. Das Verkrampfte in ihrem Gesicht entspannt sich sanft. Furchen glätten sich sachte. Sie tappt mit dem Finger in die geöffnete Niveadose, kleckst sich mehrfach an und schmiert sich die zähe Creme auf die Haut. Sie cremt und cremt, massiert und schaut sich genauestens an. Dabei seufzt sie wie ein zufrieden sattes Baby. Sie muss die Situation nur zu ihren Gunsten deuten. Und schon ist alles genau so, wie sie es mag. Einmal Mittelpunkt sein. Von Fred Maihauser wahrgenommen werden. Nein, nicht als Putzfrau und bügelerprobter Roboter. Als Mensch mit Haut und Haar. Als Frau mit Gefühl. Als diejenige, die sein Leben, von ihm unbemerkt, aber doch, in die richtigen Bahnen lenkt. Schon immer. Diese Chance wird sie sich nicht entgehen lassen. Sie sprüht sich mit Eau de Toilette ein. Hinters Ohr. Aufs Dekolleté. Dann auf die Handgelenke. Einmal, zweimal, dreimal. Letzte Woche hat sie die Flasche im Sonderangebot im Drogeriemarkt gekauft. Ein süßlicher Blumenduft in rosa-gelber Verpackung. ›Sweet angel‹. Ja, das ist sie. Ein süßer Engel. Der Engel der Moral und des Todes. Die anderen haben es nur noch nicht begriffen.
Als es am Fenster klopft, geht Birgit, um zu öffnen. Elsa drängt sich ein unangenehm süßer Duft in die Nase, als sie die Wohnung betritt. Sie unterdrückt mit Erfolg ein Niesen.
»Ich muss Sie bitten, mich nach Traunstein zu begleiten, Frau Leiner.« Mehr verrät sie nicht.
Birgit nickt, reibt sich, während sie in den Flur geht, Tigerbalm auf die Nasenwurzel, zwischen die Augen, an die Schläfen. Vor dem Korb ihres Schäferhundes angekommen, spricht sie leise auf ihn ein. Sie werde bald zurück sein. Nur eine kleine Weile, dann sei alles wieder gut. Sie bringe frisches Rindfleisch mit. Ein saftiges Stück. Keine Reste. Ein Festmahl. Hasso jault kurz auf, bleibt ansonsten aber unbeteiligt. Birgit stellt eine Schüssel Wasser vor ihn hin und einen Teller mit Trockenfutter.
Er spürt es, denkt Elsa. Der Hund weiß, dass sein Frauchen nicht wiederkommt. Nie mehr. Zumindest nicht, solange er lebt.
Nach der Verabschiedung von ihrem Hund weist Birgit Leiner darauf hin, dass sie Migräne hat. Man müsse sorgsam mit ihr umgehen. In ihrer momentanen Verfassung könne sie Licht schlecht vertragen. Auch lautes Sprechen sei zu vermeiden. Aber selbstverständlich komme sie mit. Wenn sie helfen könne, immer.
»Das können Sie«, verspricht Elsa. Sie sieht Birgit dabei zu, wie sie in einen leichten Mantel schlüpft und, warum auch immer, ein Kopftuch umbindet. Dann führt sie sie zur Tür, verlässt mit ihr das Haus. Im Wagen bittet sie sie, sich anzuschnallen.
Das könne sie nicht. Leider. Wenn sie sich anschnalle, fühle sie sich eingezwängt. Unmöglich, ihrer Bitte nachzukommen.
Elsa zögert nicht lange, greift über Birgit Leiners duftenden Oberkörper und lässt die silberne Schnalle des Gurtes unten, beim Sitz, einschnappen. »Die Zeit des Zögerns ist vorbei, Frau Leiner«, meint sie mit erzwungener Ruhe. »Heute bringen wir die Sache zu einem sauberen Abschluss.« Elsa legt eine kunstvolle Pause ein, studiert das Gesicht der Tatverdächtigen.
»Freilich«, verspricht Birgit. Was auch immer sie damit meine. Sie grinst unnatürlich breit. Fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Als schmecke sie etwas darauf, das ihre Gelüste anspricht.
»Den Mord an Silke Maihauser, alle Zusammenhänge, das Motiv, wie Sie es gemacht haben. Das bringen wir zu Ende. Sind Sie damit einverstanden?«
Elsa weiß, wie wichtig es ist, Birgit Leiner, trotz allem, zuvorkommend zu behandeln. Das wird es leichter für sie beide machen. Eine einfühlsame Sprache, Futter für Birgits übergroßes Ego, wird ihr dabei helfen, das geliefert zu bekommen, was sie braucht. Sie muss sich nur an die Regeln ihrer psychologischen Kenntnisse halten. Freundlich, aber bestimmt bleiben. Geradeheraus, dabei aber nie wirklich unhöflich vorgehen. Dem Täter oder der Täterin einmal den großen Auftritt gönnen. Tiefstapeln, damit Birgit sich zu Höhen aufschwingen kann. Höhen, die ihr bisher verwehrt geblieben sind. Das wird ihr jede Einzelheit liefern, die sie braucht, um Silke Maihausers letzte Stunden, ihre bedrohten Atemzüge zu rekonstruieren. Das Geständnis ist dabei nur das letzte, vollständig machende Teil eines bizarren Puzzles.
»Herrje«, sagt Birgit nach einer ganzen Weile, als Elsa längst auf der Bundesstraße, Richtung Autobahn, fährt. »Und die Aurelia Bramlitz? Wollen S’ die a
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