Engpass
ungehört im Raum.
Der Arzt blickt sie inzwischen kopfschüttelnd an. »Sie sehen doch, hier ist nichts mehr zu machen«, zischt er ihr zu und schließt dabei seine Arzttasche.
Elsa nickt unwirsch. »Danke für Ihre Hilfe«, meint sie knapp und verlässt den Salon. Im Vorraum alarmiert sie Ben Fürnkreis.
»Sie müssen in der Maihauser-Villa nach einem blauen Kissen oder Ähnlichem Ausschau halten, Ben. Nach dem Utensil, dessen Fäden Michael Horn in Aurelia Bramlitz’ Lunge gefunden hat. Auf einen Durchsuchungsbefehl können wir nicht warten. Das wäre grob fahrlässig. Ich spüre geradezu, dass alles möglich ist. Auch eine weitere Entladung durch Gewalt.«
»Was ist denn los, Elsa? Sie klingen gar nicht gut«, will Ben wissen.
»Hanne Maihauser könnte Aurelia Bramlitz getötet haben. Das ist los. Vielleicht war es auch Birgit Leiner. Um Fred Maihauser zu schützen. Zuzutrauen wäre es ihr und halb zugegeben hat sie die Tat auch schon. Vielleicht hat sie ja von Maihausers Affäre gewusst.« Elsa seufzt. »Ich für meine Person halte sie dieses Verbrechens allerdings nicht für schuldig.«
»Schalten Sie mal einen Gang zurück. Alles der Reihe nach«, bremst sie Ben. »Mit wem hatte der Maihauser ein Techtelmechtel?«
»Mit Bramlitz’ Frau.«
»Nicht im Ernst.« Ben bläst laut die Luft heraus. »Das hätte ich unserem tüchtigen Baumeister gar nicht zugetraut. Damals, als seine erste Frau Silke den wilden Feger gegeben hat, schaut er tatenlos zu und jetzt wird er vom Betrogenen zum Betrüger.«
»Für mich wird es auch immer verworrener«, gibt Elsa zu.
»Und makaber ist es auch. Zuerst hat Bramlitz mit Maihausers Frau was am Laufen und dann zahlt Maihauser es zurück, indem er was mit seiner anfängt. Was sagt unser Alphamännchen, Götz Bramlitz, denn dazu? Wie steht er zur Untreue seiner verstorbenen Frau?«, hakt er nach. »Ganz abgesehen davon, dass er jetzt selbst ein Motiv hat. Und was für eins.«
»Das frage ich ihn gleich selbst«, verspricht Elsa.
Anna kann sich kaum auf den Unterricht konzentrieren. Sie hat nur eines im Kopf. Mit Dino sprechen. Nach dem, was sie am Morgen von ihrer Mutter erfahren hat, muss sie ihn fragen, ob er etwas weiß, das bei den Ermittlungen helfen könnte.
Als es zur Pause klingelt, ist sie die Erste, die den Klassenraum verlässt. Sie geht den Pausenhof ab und lässt auch die Toiletten nicht aus. Doch von ihrem Freund fehlt jede Spur.
Beschissene Situation, ärgert sich Anna. Sie lässt sich ins Gras fallen, schickt Dino eine SMS, legt das Kinn in die Hand und grübelt. Sie spürt, wie eine unangenehme Angst, eine, die mit jedem Atemzug stärker wird, in ihr hochsteigt. Dino könnte etwas verschweigen, in das seine Familie verstrickt ist. Anna traut sich kaum weiterzudenken. Vielleicht war er sogar am Leid eines Menschen, oder, was einfach unvorstellbar war, am Tod eines anderen schuldig?
Plötzlich weiß Anna, was sie zu tun hat. Bei irgendwem muss sie die Überlegungen, die in ihrem Gehirn Achterbahn fahren, loswerden.
»Anna?« Elsa hält verwundert ihr Handy ans Ohr. »Gibt’s Probleme in der Schule? Du rufst doch nie um die Zeit an.«
»Entspann dich, alles okay. Das heißt, vielleicht gibt’s doch Ärger. Dino ist verschwunden. Einfach nicht zum Unterricht erschienen. Irgendwie glaub ich, es stimmt was nicht.«
»Das muss nichts bedeuten, Anna. Vielleicht ist er krank.«
»Negativ. Ich hab ihm gesimst und keine Antwort bekommen. Wenn er krank wäre, hätte er sich gemeldet. Ist doch total öde allein und von Viren oder sonst was attackiert im Zimmer rumzuliegen.«
»Ich kümmere mich darum. Mach dir keine Sorgen. Sobald ich was weiß, melde ich mich.«
Anna nickt stumm und legt auf. Seltsam gedämpft dringt der Lärm der Schülermenge an ihr Ohr.
Später, während des Unterrichts – Goethe steht auf dem Plan des Deutschlehrers – ringt Anna noch immer um Fassung. Wie von fern erklingt die Stimme des Lehrers, kommt doch noch bis zu ihr.
»Das ist es, was Goethe im ›Faust‹ durch Mephisto verkünden lässt: ›Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, das schöne Licht … Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.‹«
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft?, sinniert Anna vor sich hin. Wie kann es sein, dass man das Böse will und dabei das Gute schafft? Oder umgekehrt?, grübelt sie. Dieses Phänomen
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