Entbrannt
sie– ich inhalierte sie praktisch. Ich hatte wieder mal das Mittagessen verpasst.
Ich hatte immer gedacht, Lincoln sei ein harter Trainer, aber Rania brachte das Training auf eine ganz neue Ebene. Wenn ich nicht gerade Runden in der riesigen, mit einer Glaskuppel versehenen Sporthalle auf dem Dach lief, machte ich strenge Drills durch, stemmte Gewichte, trainierte mit Waffen oder wurde ins Gesicht geschlagen. Von Rania. Sie schlug auch alle anderen Körperteile, aber sie konzentrierte sich auf mein Gesicht– wobei sie mir versicherte, dass wir meine Fortschritte immer daran messen konnten, wie oft ich es ihr erlaubte, mir die Fresse zu polieren.
Ich versuchte zu erklären, dass ich überhaupt nichts erlaubte.
Sie war anderer Meinung.
Ich sah Lincoln an und schüttelte den Kopf. »N ein, das wirst du nicht.« Das Letzte, was ich wollte, war, dass er zu meiner Rettung geeilt kam. »N ur noch zwei Wochen, und ich lerne eine ganze Menge.«
Zum Beispiel, wie der Boden von Nahem aussieht.
Er nickte, konzentrierte sich aber weiterhin aufs Essen, das er überhaupt nicht genoss, wie ich feststellte. Für mich war ein Abendessen aus der Mikrowelle in Ordnung, aber Lincoln war der Typ, der frisch Gekochtes bevorzugte.
»H ält sich Zoe je hier auf?«, fragte er und warf einen Blick auf ihr unordentliches Bett. Er wollte das Thema wechseln.
Ich nahm einen weiteren riesigen Mund voll Spaghetti. »N ormalerweise hängt sie mit Spence und den anderen Studenten herum.« Ihr spätabendliches Herumstolpern in unserem Zimmer verhieß nichts Gutes– anders gesagt… sie hatte eine Menge Spaß. Aber ich war immer zu müde, mitzugehen und herauszufinden, was sie wirklich machten.
»I ch habe heute versucht, Steph zu erreichen, aber ich komme nie durch. Hat Griff etwas von ihr gehört?«
Lincoln nickte. »H eute, aber nur kurz. Nichts Neues. Sie sind immer noch dran«, sagte er diskret, weil er innerhalb der Akademie nicht ins Detail gehen wollte. »G riffin hat heute deine Eltern gesehen«, fügte er hinzu, wobei er sich anstrengte, locker zu klingen.
Wir hatten schon mal darüber geredet. »I ch besuche sie bald. Ich habe im Moment nicht gerade viel Freizeit.«
»D as ist nicht der Grund, und das weißt du genau.«
Stimmt. Das hatte eher mit der Tatsache zu tun, dass ich immer noch nicht wusste, was ich zu Dad sagen sollte, und mit meiner Unfähigkeit, die Tatsache zu verarbeiten, dass ich Evelyn so lange gehasst hatte– weil sie mich meiner Meinung nach zu ihrem eigenen Vorteil eingetauscht hatte–, dass ich ihr jetzt nicht mehr in die Augen sehen konnte. Ich hatte sie so schlecht behandelt, und jetzt wusste ich nicht, wie ich das wieder in Ordnung bringen konnte. Und… ich hatte so das Gefühl, dass sich die beiden… näherkamen, und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
»W ird sie immer noch dauernd ohnmächtig?«, fragte ich.
»N ein, sie haben ihr etwas als Starthilfe für ihre inneren Organe gegeben, und es scheint zu wirken. Sie glauben, es hatte damit zu tun, dass sich ihr Körper wieder an seine irdische Form gewöhnen musste.«
Das klang logisch. Griffin hatte so etwas auch gesagt.
Wir saßen eine Weile schweigend da.
»W as glaubst du, wie es für sie gewesen ist?«, fragte ich leise.
»I ch kann es mir nicht vorstellen. Und laut ihrem offiziellen Bericht hat sie keine Erinnerung daran, in der Hölle gewesen zu sein. Nur, dass sie dort war.«
Doch ich wusste es besser. Sie hatte zu mir gesagt, dass ich sie niemals danach fragen soll, und zwar nicht, weil sie sich nicht mehr daran erinnert– sondern gerade weil sie sich erinnerte. Ich hatte den Verdacht, dass Lincoln das auch wusste.
»S ie ist deine Mum, Vi. Sie hat ihre ersten siebzehn Jahre mit dir aufgegeben, aber jetzt ist sie da. Ich…« Er stellte sein Abendessen ab, das er kaum angerührt hatte. »I ch war so wütend auf meine Mum, nachdem sie gestorben war. Ich war wütend auf sie, weil sie krank geworden ist– ich dachte, sie wäre zu schwach gewesen und hätte es Nahilius leicht gemacht, sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen.«
»D as ist nicht wahr.«
Er lächelte halb. »I ch weiß, aber so habe ich eine Zeit lang empfunden. Ich glaube, das war meine Art, mit der Sache umzugehen, bis ich in der Lage war, die Wahrheit zu erkennen– dass ich sie einfach vermisste.«
Ich lehnte meinen Kopf an das Bett. »I ch werde darüber nachdenken.«
Er nickte und reichte mir ein Schälchen geschmolzenes Schokoladeneis.
Mmh,
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